Mi
22
Mär
2017
Manchmal muss man Orte verlassen, um sich deren Schönheit erschließen zu können. So ging es mir mit meiner Heimatstadt, mit Teilen von Deutschland und irgendwann auch mit Europa. Been here, done that – und es gibt doch immer noch mehr weiße als bunte Flecken auf meiner Landkarte. Unterwegs dann viele gute Zeiten, Verwunderung, Faszination, weitschweifende Gedanken, gute Ideen, auch viel Frust, Einsamkeit, manchmal Heimweh, Suff, Rausch und Klarheit – aber definitiv keine Erleuchtung
Doch, eine Erkenntnis ist langsam entstanden, hat sich geformt hinter der eitlen Reise-Fassade, ist durchgesickert, hat sich eingenistet und ist dann geblieben. Klingt schwer sinnbehaftet, ist aber ganz schlicht: Europa ist ein verdammt schöner Flecken Erde! So vielseitig, so abwechslungsreiche – kulturell ebenso wie landschaftlich. Und das alles auf relativ kompaktem Raum. Ich könnte jetzt zwei Hände voller guter Beispiele für die Schönheit unseres Kontinents nennen, denn zwischen dem Nordkap und Gibraltar findet sich eine Fülle atemberaubender Gegenden, die den Vergleich mit der globalen Hall of Fame der grandiosen Landschaften nicht zu scheuen brauchen.
Einer dieser magischen Orte ist das Soča-Tal in Slowenien. Wenn ich hierhin komme geht mir das Herz auf. Dieser eiskalte, glasklare, wilde Fluss, in dessen unverwechselbarem Türkis-Ton man sich verlieren kann, die angrenzenden Wälder und dahinter steil aufragende Gipfel der Julischen Alpen… Was braucht es mehr zum großen Outdoor-Glück?
Wir kommen direkt vom kroatischen Strand mit großem Trail-Hunger zurück in die slowenische Bergwelt. Doch hinter uns liegen nicht nur faule Hängematten-Tage, kaltes Bier, Schnorcheln und tipptopp Seafood an den sanft umspülten Felsufern der Adria. Nein, wir waren schon fleißig und haben zum Auftakt unseres Roadtrips in den Dolomiten auf einen Streich ordentlich Höhenmeter gemacht – sowohl auf- als auch abwärts (--> die Geschichte gibbet hier). Jetzt wollen wir das Soča-Tal auf seine Mountainbike-Tauglichkeit checken.
Unser Zelt schlagen wir in Bovec direkt am Zusammenfluss von Soča und Koritnica auf. Die Szene wird von unzähligen bunten Wildwasserkajaks dominiert und wir sind mit unseren Radln eher die Exoten.
In den nächsten Tagen nehmen wir uns peu à peu und ganz entspannt einige Touren in der Umgebung vor. Stromern im slowenisch-italienischen Grenzgebiet herum, pedalieren durch dichte, schattige Wälder, über große, in gleißendes Sonnenlicht getauchte Schotterflächen, lassen uns auf ruppigen Abfahrten fast die Lenker aus den Händen schlagen und nehmen jauchzend einige schön flowige Singletrails in Angriff. Hier und da warten ein paar Wurzelstücke auf uns und an einigen kurzen Stellen wird unsere Fahrtechnik gefordert.
Auf den Touren ist nix los und am Ende wartet immer irgendwo eine schöne Badestelle, an der wir uns ungestört in ein klares, eisig kaltes Becken stürzen – nä, wat is dat Leben schön hier! Ein besonderes Schmankerl sind die gerade einmal lenkerbreiten Hängebrücken, die von den flachen, einfach fahrbaren aber durchaus spaßigen Trails in direkter Ufernähe abzweigen. Immer wieder bleiben wir stehen und machen minutenlang nichts anderes, außer von einer der Brücken hinab in die rauschenden türkisen Fluten des Flusses zu starren. Hin und wieder zeigen sich sogar ein paar Fische im glasklaren Wasser. Wir ertappen uns dabei, wie uns bei dem Anblick die Forelle in Erinnerung kommt, die uns am Vorabend in einem slowenischen Restaurant in Bovec serviert wurde. Ihre Herkunft aus dem klaren, kühlen Wasser konnte man förmlich schmecken.
Am letzten Abend vor der Heimreise ist der Sternhimmel besonders schön und die Milchstraße steht deutlich über unserem Zelt. „Sommer vorbei…“ singt Frittenbude dazu in meinem Kopf und wir sind uns einig, dass wir noch gut ein paar Tage hier bleiben könnten. Auf jeden Fall gehören die Ufer der Soča nicht zu den Orten, deren Schönheit sich erst erschließt, wenn man längst weitergezogen ist. Ich würde sogar so weit gehen, diesem Tal einen der vorderen Ränge auf der persönlichen „Best of Europe“ Liste einzuräumen – und die haben definitiv Weltklasse.
***Good to know
Ein Abfahrts-Nirwana wie in den Dolomiten hat sich uns hier nicht erschlossen, das haben wir aber eigentlich auch nicht erwartet. Es ist ruppig und felsig, dazu ein stetes auf und ab – damit dominiert im Soča-Tal ein Tour-Charakter. Zum Ballern gibt‘s ohne Frage geeignetere Gebiete. Vielleicht haben wir aber auch nicht die richtigen Routen gewählt. Das gilt es beim nächsten Besuch rauszufinden – ich könnte mir zum Beispiel sehr gut vorstellen, hier mit leichtem Gepäck zu Selbstversorger-Mehrtagestouren aufzubrechen. Das dürfte ein großer Spaß sein.
Damit wir bei unserer Routenwahl nicht völlig im Dunkeln tappen, haben wir uns schon vor der Abreise den vielfach empfohlenen Tourenführer „30 Mountainbiketouren im Soča-Tal“ von Peter Immich und Michael Kemmler in Buchform organisiert (www.mtb-slowenien.de). Mit knapp 30 Euro ist das übersichtlich gestaltete Werk eine nicht ganz günstige, wegen der detaillierten Beschreibungen samt .gpx-Dateien und zu jeder Tour dazugehörigen entnehmbaren Topo-Karten samt Roadbook aber eine durchaus sinnvolle Investition.
Mo
28
Sep
2015
Das reine Gipfelglück.
Das schlechte Bergwetter saß uns schon längst im Nacken, als wir viel zu spät, aber doch maximal entspannt gegen die ersten der insgesamt 1.600 Höhenmeter ankurbeln. Das Ziel: Der "Strada della Vena Trail". Klanghafter Name, Bomben-Landschaft, beinah' unglaubliche 17 Singletrail-Kilometer bergab - kann das wirklich wahr sein?
Doch der Weg zum Refugio Averau auf sagenhaften 2.416 Metern über dem Meer ist steinig - also zumindest sprichwörtlich, denn tatsächlich ist er asphaltiert. Kein Witz, von Caprile aus windet sich ein Aspahlt-Band in unzähligen Kehren bergan, erklimmt Selva di Cadore, von dort den Passo di Giao, um finalmente das Rifugio Fedare zu streifen. Von dort können die restlichen 400 Höhenmeter auf einem sehr steilen, grob geschotterten Pfad in der Lift-Schneise absolviert werden. Lift? Genau! Diese Aussicht ist es dann wohl auch, die uns stoisch und mit einigen Abwegen das Massiv am Fuße des Averau erklimmen lässt.
Beim vermeintlich wohlverdienten Gelato in Selva di Cadore ist die Welt noch in Ordnung. Doch kurz darauf versperrt uns in einem Waldstück hinter dem Dorf eine Berghang-füllende Baustelle den Weg. Kein Vorbeikommen. Zurück würde gehen, die senkrecht anmutende Bergwiese zur Rechten ist allerdings der direkte Weg. Die mühselig erarbeiteten Höhenmeter werden als ebenso mühselig - weil bergab kletternd - vernichtet. Das freilaufende Pferd auf dem Gehöft in der Talsohle ist von unserer Anwesenheit nur mäßig begeistert.
Der Passo di Giao hat es in sich und zählt die Kurven zur finalen Vernichtung der Bergwertungs-Motivation rückwärts Richtung Cortina d'Ampezzo. Tornante 27° beziffert den Auftakt und wir sind schon ziemlich fertig. Aus Tornante 12° können wir unser vorläufiges Ziel - die Talstation des Lifts - schon sehen.
Greta: Siehst du das?
Ich: What?
Greta (etwas angesäuert): Da sind zwar Lift-Pfosten, aber keine Gondeln!
Ich (bagatellisierend): Ach was! Neeee, das kann ich mir überhaupt nicht vorstellen.
Greta: schweigt
Ich (beschwichtigend): Jaaaa und wenn schon. Die läppischen 400 Höhenmeter sind dann auch schnell gemacht.
Grata: schweigt zähneknirschend.
Ich (ablenkend): Nä, wat is dat schön hier!
Also insgeheim ist mir bei dem Gedanken auch nicht ganz wohl - auch angesichts der mittlerweile beunruhigend fortgeschrittenen Zeit .
Wir haben ja Zeit, ist schließlich Urlaub: Dass es hinten raus noch knapp werden wird, konnten wir beim entspannten Kaffee- und Frühstücks-Stopp nicht ahnen.
|| Ungeplante Umwege: Die Bergwiese können wir nur eingeschränkt als Traverse empfehlen. || Das
Tornante 12° Desaster. Aber da geht doch noch was. || Das Ziel vor Augen: Der Sattel rechts vom Averau.
Um den Spannungsbogen nicht zu überstrapazieren: Der Lift fährt, der Lift nimmt unsere Räder mit, der Lift-Mann im Kassenhäuschen ist unsere bester Freund. Nach zehn lausig kalten Minuten stehen wir frierend am Fuße des Averau, machen das obligatorische Gipfel-Foto, füllen die CamelBaks und nehmen noch Corny-kauend die ersten Meter der Schutthalde Richtung Trail in Angriff.
Dem Übermut und auch der erbarmungslosen Gravitation ist es zuzuschreiben, dass wir - obwohl wir es besser wissen - den etwas versteckten Einstieg verpassen. Zu Fuß finde ich den Pfad circa 50 Meter oberhalb von uns. Dem Übermut, der erbarmungslosen Gravitation, und noch dazu der dünnen Luft ist es jetzt zu zuschreiben, dass ich schon bald feststellen muss, dass sich zwei nicht ganz leichte Fahrräder nur sehr mühselig querfeldein bergauf transportieren lassen. Nä, wat is dat schön hier.
Der Lift: Wohlverdient und die Freude ist groß....
No pain, no gain: Obwohl wir 400 Höhenmeter gefuddelt haben, bleibt uns die Trage-Passage nicht erspart.
Gerade dem Steinfeld entkommen und auf der Suche nach maximalem Flow, lässt der nächste Navigationsfehler nicht lange auf sich warten. Ich meine kurz das Wort "Himmelfahrts-Kommando" hinter mir
zu vernehmen, aber ein Krampf lenkt mich schnell von dem mutmaßlich Gehörten ab. Als vereinzelt ein paar Tropfen aus den wassergesättigten Wolken fallen, haben wir den Strada della Vena Trail
wieder fest im Blick und lassen es gen Tal fliegen. Unnötig zu erwähnen, dass jetzt keine Zeit mehr für Fotos ist, denn es ist wirklich war: 17 km feinster Singletrail. Oben bissl verblockt
und technisch, ab den Wiesen voller Flow bis runter nach Caprile. Was für ein Auftakt!
Nächster Halt: Das Soca-Tal
/Al
In diesem Bild haben wir ein Fahrrad versteckt...
...here we go. Attacke!
Der mühselige Weg nach oben hat uns definitiv den Schnitt vermasselt. Ohne Umwege kriegt man die Runde auch in einer passableren Zeit hin.
Mo
10
Aug
2015
Querfeldein? Kein Problem! Die Radl bleiben geländetauglich. Nur bei der Seeüberquerung mussten wir passen.
Hand auf´s Herz: Wir sind Experten für Übergepäck! Allerdings hatten wir in den knapp sechs Monaten in Kanada und den USA eine Menge Zeit, über das wortwörtlich belastende Problem nachzudenken. Die Lösung war uns insgeheim schon vor Abreise klar und manifestiere sich mit jedem gefahrenen Kilometer entlang der Pazifik-Küste. Bikepacking ist das Stichwort. Denn wer limitierten Stauraum hat, kann auch nur wenig einpacken. Obendrein gehören Konfrontationen mit motorisierten Vehikeln der Vergangenheit an – mit dem handlichen, gepäckträgerlosen Setup rücken Singletrails und unbefestigte Wege nämlich wieder in den Fokus der Routenplanung. Straßen werden im Idealfall lediglich überquert, nur um auf der anderen Seite wieder im Gebüsch zu verschwinden. Obwohl wir uns vor Nordamerika bewusst gegen den absoluten Minimalismus und gleichzeitig für ein gewisses Maß an Annehmlichkeiten entschieden hatten, wurde uns bald klar, dass zukünftige Touren konzeptionell anders laufen werden. So gehörten schon bald eine Hand voll Bikepacking-Blogs zur täglichen Lektüre.
Zurück im heimische Köln wurde nicht lange rumgefackelt. Kurzerhand bestellten wir –
auf Umwegen –
zwei tipptopp Taschen für die Sattelstützen und jeweils eine sehr durchdachte Konstruktion, die am Lenker diverses Gepäck aufnehmen kann. Eigentlich gehört zum Bikepacken auch eine Rahmentasche, die
das ganze Rahmendreieck ausfüllt. Da es aber hierzulande ohnehin sehr schwierig ist, an das Equipment zu gelangen, verzichteten wir zunächst auf das kurioseste und prägnanteste Gepäckstück. Wir
werden uns der Sache an anderer Stelle nochmal im Detail widmen, nur so viel vorab: Die Taschen des in Alaska ansässigen Herstellers Revelate Design mussten wir in den Niederlanden bestellen. Bei der britischen Firma Alpkit waren leider alle ensprechenden
Gepäcklösungen ausverkauft und die besagten Rahmentaschen müssen ohnehin individuell auf jedes Rad angepasst werden.
Long story short: Bikepacking ist in Deutschland noch verdammt unbekannt, während sich im englischen Sprachraum schon eine sehr bunte und außerordentlich interessante Szene entwickelt hat.
Keine Packtaschen, keine Gepäckträger: Selbst schmale Singletrails sind so noch mit Freude fahrbar.
Nachdem wir uns in den letzten Monaten zunehmend dem Thema Enduro verschrieben hatten, wurde es allerhöchste Zeit, mal wieder mit Gepäck zu starten – wenn auch nur für einen kurzen, knackigen Overnighter. Uns gefiel der Gedanke direkt vor der Haustür zu starten und da sich der im Nationalpark Eifel gelegene Rursee schon per Pedes bewährt hatte (hier gibbet Fotos vom Mattes), machten wir uns von Köln aus auf nach Südwesten.
Der Streckenabschnitt bis zur Eifel ist teilweise bisschen zäh, dann allerdings wird es landschaftlich verdammt schön und sehr vielseitig. Vor allem das Rurtal, der Rursee selbst und – der Zufall führte uns hin – die Hochebene zwischen Einruhr und Gemünd, sind absolute Schmankerl. Zurück ging´s von Kall aus mit der Bahn, da sich mein Tretlager mit ordentlich Spiel und kränklichem Knacken langsam verabschiedete.
Es war eigentlich schon im Vorfeld klar: Bikepacking ist die Königsklasse des Radreisens und läuft uns verdammt gut rein. Die nächste Ausritte sind schon in Planung, die Rahmentaschen werden wohl noch in dieser Woche in Auftag gegeben.
/Al
Die ganze Runde zum Nachfahren: Der Teil von Köln bis zum Rand der Eifel ist etwas lame und führt hauptsächlich über Feld- und Schotterwege. Dann wird´s allerdings grandios und der ein oder
andere Singletrail versüßt die vielen Höhenmeter. Wie es zu der unterirdischen Durchschnittsgeschwindigkeit und Gesamtdauer kommt, ist uns allerdings rätselhaft.
Di
24
Feb
2015
Strom im Hosentaschen-Format: Der »Guide 10 plus« von Goal Zero hat sich unterwegs ziemlich schnell bewährt.
Stromknappheit auf Reisen ist bisher nie ein Thema für mich gewesen – und das, obwohl ich immer mit Kamera-Geraffel, GPS, Smartphone und Tablet unterwegs bin. Denn gewöhnlich hatte ich immer ein stromspendendes Fahrzeug im Zugriff. Mit Spannungswandler und 12-Volt-Buchse wird ein Motorrad ganz schnell zum fahrenden Generator. Vom Auto ganz zu schweigen.
Nicht so das Fahrrad. Zwar gibt es die Möglichkeit einen Nabendynamo zu verbauen, allerdings hat diese mutmaßlich ideale Lösung so ihre Tücken. Um USB-äquivalenten Strom zu erzeugen, müsste ich mindestens 20km/h fahren, sonst reicht die Spannung noch nicht einmal zum befeuern eines iPhones aus. Abgesehen davon müsste ein neues Laufrad her und die ganze Chose will dann auch noch verkabelt werden. Auf der Habenseite steht dafür eine stete Beleuchtung. Long Story short: Wir wollen mit Mountainbikes fahren und die Genese zum Reisedampfer nicht zu weit treiben. Also keine Nabendynamos!
Bevor es an die Recherche denkbarer Alternativen geht, steht die Frage im Raum, ob überhaupt eine Stromquelle mit an Bord sein muss. Oberste Priorität liegt auf den Kameras. Doch mit je drei Akkus für jedes Gehäuse scheint die Sorge um die visuelle Dokumentation fast übertrieben. Mit den drei vorhandenen Sätzen Eneloop-Akkus* für den Blitz kann ich bei Bedarf die Nacht zum Tag machen – und geblitzt wird ohnehin eher selten. Soweit also kein Versorgungsproblem.
GPS? Joa, kann im Zweifel auch mit Doppel-A-Batterien von der Tanke versorgt werden. Außerdem passen auch die dem Blitz zugedachten Akkus. iPad, Kindle, iPhones, die Garmin Virb ActionCam*? Alles Gimmicks, die ohnehin ziemlich lange durchhalten, wenn man von exzessiver Nutzung mal absieht.
Das kleine Ladegerät dient als Stromspeicher und ist dank USB-Anschlüssen und kleiner LED-Lampe ein reines Multitool.
Strom ist also völlig überbewertet... Not! Ziemlich schnell stellen wir fest, dass der Strombedarf erstaunlich hoch ist. (Nur so am Rande: Das sollte nicht der einzige Anfängerfehler bleiben, den wir in den ersten Wochen machten.) Unser GPS-Gerät stammt fast aus dem vorherigen Jahrhundert und wartet mit dem Bedienkomfort einer 80er-Jahre Casio-Digitaluhr auf, weshalb unsere iPhones mehr und mehr den Navigations-Profi vergangener Tage ersetzten und ihn schlussendlich gänzlich verdrängten. Musik? Yay! Macht lange Etappen sehr erträglich. Bücher, Zeitungen, Magazine? Auf jeden Fall, wiegt ja digital nix. Strom? Oh ja, bitte viel davon! Womit wir zum Thema kommen…
Als hätten wir es gewusst, legen wir uns vor der Abreise ein sehr handliches und erstaunlich effizientes Solar Panel zu. Das Goal Zero »Nomad 13« erscheint mir für ein Experiment zu teuer, weshalb die Wahl auf den »AP 150 SolarBooster« von Xtorm* fällt. Satte zwölf Watt für knapp 90 Euro, zwei USB-Ausgänge und das Ganze tipptopp verarbeitet, mit grobem, vertrauenserweckendem Cordura-Zeugs überzogen. Um den eingefangenen Strom zu speichern, ergänze ich das Panel um ein Goal Zero »Guide 10 Plus«-Ladegerät*. Letzteres kann mit beliebigen Doppel- und Triple-A-Akkus (zum Beispiel den besagten Blitz- und GPS-Eneloops) bestückt und via Mini-USB geladen werden. Wird der Schalter umgelegt, gibt das kompakte Kästchen Strom an eingepinnte USB-Geräte ab. Soweit die Theorie.
Ich habe meine Vorbehalte und pinökle an einem nahezu sonnigen Tag im Kölner Grüngürtel skeptisch die Gerätschaften zusammen. Ein feiner Schleier bedeckt den Himmel und vereitelt somit ideale Testbedingungen. Erstaunlicherweise laden dem zum Trotz sowohl das Guide-Ladegerät als auch zwei iPhones (jeweils nacheinander) ohne zu murren. Nur mit dem iPad läuft es nicht ganz so rund. Bei direkter Sonneneinstrahlung funktioniert aber auch das. Gegen Abend haben wir tatsächlich beide Telefone geladen und noch etwas Energie in die Akkus gespeist. Für umme. Einfach so von der Sonne geladen. Praxistest bestanden!
Auf Vancouver Island verfeinern wir die Konstruktion mit Hilfe des Kamerastativs. So können wir das Solarpanel mit ein paar Handgriffen optimal Richtung Sonne ausrichten. Und da uns in den folgenden sechs Monaten fast ausschließlich die Sonne entgegen lacht, ist stromtechnisch immer ausgesorgt. Selbst auf der Gepäckrolle verzurrt können wir mit dem »SolarBooster« täglich ein paar Watt während der Fahrt einfangen. Die ganze Sache verblüfft mich immer wieder aufs neue. Also wenn man das mal weiterdenkt...
Mit einem Stativ kann das xtorm Solar-Panel tipptopp ausgerichtet werden.
Ausklammern müssen wir – aber das war von Anfang an klar – Gretas Laptop und die Kamera-Akkus, da beide nicht via USB geladen werden können. Die Rechnung mit den drei Akkus pro Gehäuse geht aber problemlos auf und der Computer kommt ohnehin nur sporadisch zum Einsatz. Für die nächste Tour wird es trotzdem ein größeres Panel, dann lädt auch das iPad ohne Probleme. xtorm hat leider nichts fetteres im Programm, aber bei Goal Zero wird man fündig. Bis zu 20 Watt bringt das »Nomad 20«-Faltpanel*. Zudem haben die Goal Zero-Module den Vorteil, dass man sie in Reihe schalten kann – so fällt die Stromernte noch üppiger aus.
Vom Gimmick zum Must Have. Auf dass die Sonne immer scheint.
/Al
Das xtorm Solar-Panel AP150 ist ein ziemlicher Preis/Leistungs-Kracher & wird auch künftig mit auf Tour gehen.
+ funktioniert auch nach sechs Monaten Dauereinsatz tadellos
+ Verhältnismäßig günstig und somit tipptopp in Sachen Preis/Leistung
+ Gute Verarbeitung
+ Sehr kompakt bei hoher Effizienz
- lässt sich nicht mit anderen Panelen in Reihe schalten
- xtorm bietet kein leistungsfähigeres Panel an
+ kompakt und robust
+ funktioniert tadellos mit allen angeschlossenen Geräten
+ kann sowohl via Steckdose als auch mit Solarenegie geladen werden
+ sehr variabel durch austauschbare Akkus und einen zusätzlichen Einsatz für Triple-A-Akkus
+ sehr gut verarbeitet
+ kann mittels eingebauter LED auch als Taschenlampe genutzt werden
* Die verwendeten Affiliate-Links führen zu den hier vorgestellten Produkten bei Amazon. Solltest Du dich entschließen, auf unsere Empfehlung hin etwas zu kaufen, springt für unser Projekt ein kleines finanzielles Goodie raus. Für Dich als Käufer entstehen dabei keine höheren Kosten . Die von uns getesteten Produkte haben wir selber gekauft. Empfohlen wird nur, was sich draußen bewährt hat!
Mi
18
Feb
2015
Diese Aussicht wäre uns beinah entgangen.
Yosemite bringt mich in ein ernsthaftes Einstiegsdilemma. Soll der Erstkontakt mit den mächtigen Granitblöcken am Anfang stehen? Der fette Blick am Tunnel View mit dem legendären El Capitan zur Linken, vorbei am Cathedral Peak über den Merced River hinweg bis zum Half Dome? Oder unsere eisigen Camp-Nächte auf fast 3000 Metern inmitten eines kleinen Zeltdorfs? Die Rufe der Seilschaften an der Nose und den angrenzenden Kletterrouten? Die tapferen Jungs und Mädels, die noch im Dunkeln weiter klettern und die 1000 Meter lange, senkrechte Granitwand mit ihren Stirnlampen zur Projektionsfläche für ihre Mehrtagestouren in der Vertikalen machen?
Oder doch der Problembär, der mich in der letzten Nacht um den Schlaf brachte?
Vielleicht sollte ich aber mit dem Waldbrand am Highway 140 anfangen, der uns fast unseren Trip ins Valley gekostet hätte...
Der Zug von San Francisco ist schon gebucht, die Trekking-Rucksäcke in der lokalen REI-Filiale reserviert und einen sicherer Platz für unsere Fahrräder und Teile des Gepäcks klar gemacht, als uns die Nachricht von Amtrak erreicht. Wegen eines Waldbrands ist eine der Zufahrtsstraßen zum Yosemite Nationalpark auf unbestimmte Zeit gesperrt und folglich unsere Buchung in Teilen storniert. Morgen in der Früh soll es los gehen. Wat ne Scheiße! Zu allem Überfluss stürzt am Nachmittag ein Löschflugzeug im Brandgebiet ab. Die Lage scheint sich eher zuzuspitzen. Wir wollen es trotzdem nicht unversucht lassen, schließlich führt eine andere Straße von Norden her ins Valley. Vielleicht kommen wir bis Merced und trampen von dort weiter. Der Plan B wird schon stehen, wenn er gebraucht wird.
Am Abend holen wir die Rucksäcke ab, decken uns mit Vorräten und Gas ein und bringen die Velos weg.
Der Wecker klingelt. Abreisetag. Ein banger Blick ins Internetz. Der Wald brennt immer noch, die 140 ist weiterhin gesperrt. Fuck.
Der Rucksack drückt auf dem Weg zur Bahn. Lang nimmer mit Gepäck aufm Rücken unterwegs gewesen. Zwei Stunden vor Zugabfahrt fällt die Entscheidung im Starbucks am Pier 1. Wir canceln die Tickets und mieten drüben in Oakland am Flughafen ein Auto. 5 Minuten später haben wir eine Bestätigung im Postfach, weitere 2 Minuten später sind wir auf dem Weg zur U-Bahn. Ein Roadtrip nimmt seinen Lauf.
/Al
Mo
26
Jan
2015
In goldenem Glanz: Die Golden Gate Bridge, unser Tor zu San Francisco.
Der Moment, als dieser spezielle Moment da ist, auf den ich mich schon vor der Abreise in Deutschland gefreut habe, ist tatsächlich etwas Besonderes. Ich fahre mit dem Fahrrad über die Golden Gate Bridge, diese phänomenal berühmte Brücke, die ich zu Schulzeiten im Kunst-Leistungskurs als Bleistiftzeichnung in meinem Skizzenbuch zu Papier gebracht habe. Entsprechend vertraut kommen mir das Relief der Brückenpfeiler und die Anordnung der Stahlseile vor, als ich auf der Brücke entlangfahre.
Ich muss mich korrigieren: Es ist nichts Besonderes, mit dem Fahrrad über die Brücke zu fahren. Es ist Samstag, die Sonne scheint, und mit mir fahren gefühlt mehrere Tausend Touristen auf
Leihfahrrädern über die Mündung der San Francisco Bay. Hin und wieder sausen Locals in Spandexklamotte auf High-End-Rennrädern vorbei und schneiden ihnen den Weg ab.
Für mich ist die Brückenquerung dennoch ein erhebender Moment. Denn anders als die meisten, mit denen ich die Straße teile, haben Alan und ich rund 2.500 km mit dem Fahrrad zurückgelegt, um an diesem Ort zu kommen. Für uns ist die Golden Gate Bridge kein beschaulicher Sightseeing-Ausflug. Wir haben in diesem Moment bereits gut 50 Kilometer in brütender Hitze, über stark befahrene und extrem bergige Straßen zurückgelegt. Irgendwie fühlt es sich fast so an, als wären wir bereits am Ziel unserer Reise – dabei trennen uns noch einige hundert Kilometer von San Diego. Fest steht jedenfalls: San Francisco ist mehr als nur ein Etappenziel.
Und doch betreten wir San Francisco mit einer gehörigen Portion Skepsis. Man kann es Seattle-Trauma nennen. Denn was wir bisher aus nordamerikanischen Städten mitgenommen haben, ist vor
allem die Erkenntnis, dass Europa verdammt viel zu bieten hat. Charme, Flair, Geschichte und unglaublich gutes und vielfältiges Essen.
Doch San Francisco kann mithalten. Irgendwie schafft es die Stadt, ihre typische Reißbrett-Struktur mit Leben zu füllen. Dass sich die Städteplaner mit San Francisco offensichtlich richtig Mühe gegeben haben, merkt man daran, dass die meisten Straßen echte Namen haben – und nicht nur Nummern. Meine Augen bleiben an bunten Häusern mit Erkern und Türmchen hängen - eine ungewohnte visuelle Freude, sind meine Blicke doch in den vergangenen Wochen und Monaten gewöhnlich an Glasfassaden und funktionalen Betonbauten abgeprallt. Ja, sie haben Charme, Flair und ein bisschen Geschichte, die Straßen von San Francisco. Und was das Kulinarische betrifft - wir entdecken Trader Joe's und sind glücklich.
Die eigentlichen Touri-Hotspots sind – wie so oft – eher bescheiden: Fisherman’s Wharf gleicht einem Besuch auf dem Jahrmarkt - schrill, kommerzialisiert und viel zu viel Gedränge. Ich bewundere die Seelöwen am Pier 39 für ihre stoische Gelassenheit, mit der sie tagtäglich die vorbeiziehenden Touristenschwärme ertragen, die von Bussen und Kreuzfahrtdampfern ausgespuckt werden. Die Cable Cars sind zwar lustig anzusehen, wie sie nahezu senkrecht die Straßen hinaufklettern. Aber dafür in der Schlange stehen? Da stelle ich mich dann doch lieber bei Trader Joe’s an der Kasse an. Das Hippieviertel Haight Ashbury ist nicht wirklich mehr als ein Flohmarkt für Batik-T-Shirts und Räucherstäbchen. Und die weltberühmte Lombard Street mit ihren vielen Kurven ist letzten Endes nur eine üppig begrünte Straße.
Nein, San Francisco punktet nicht durch Sehenswürdigkeiten. San Francisco besticht durch sein Flair, durch sein Leben auf der Straße, durch herzliche Menschen und nette Gespräche an der
Bushaltestelle, durch seine Architektur und seine Lage am Meer und der Bay.
Da nehmen wir das Angebot von Heidi und Martin, unseren Warmshowers*-Gastgebern, doch gerne an und bleiben noch eine weitere Nacht!
/Gr
*Warmshowers = Couchsurfing-Pendant für Radreisende
So
18
Jan
2015
BeachLife in Nordkalifornien.
Ich mag Bäume! Laubexemplare lieber als solche mit Nadeln, Gruppen lieber als Einzelgänger, und je weitläufiger und unerschlossener ein Waldgebiet ist, desto besser fühl ich mich. Ich finde Baumhäuser sind eine grandiose Wohn-Alternative, liebäugle schon seit geraumer Zeit mit einem Baumzelt und nehme bis dahin auch gerne mit einer Hängematte vorlieb.
Das Geräusch von Wind in Baumwipfeln ist beruhigend wie Meeresbrandung, die saisonale Färbung der Blätter ist ein visueller Rausch und Holz macht in fast jeder Form eine verdammt gute Figur. Sogar im Feuer. Im konkreten Fall kommt noch das wortwörtlich biblische Alter der verholzten Pflanzen hinzu. Seit über 2000 Jahren wurzeln einige dieser Burschen schon an den küstennahen Hängen, trotzen den Elementen und Menschen. Vor allem Letzteres ist beachtlich, denn der Einschlag der Siedler hatte de facto verheerendere Folgen als diverse Waldbrände der vergangenen Dekaden.
Ich bin mächtig beeindruckt. Die gedämpften Geräusche, das diffuse Licht, der erdige Geruch. Unser Zelt, ganz klein zwischen Stämmen dick wie... mir fehlt es an bildlichen Vergleichen. Doch nach Tagen ohne direktes Sonnenlicht, ständiger Feuchtigkeit und teils dichtem Nebel wächst die Sehnsucht nach Meer. Wir müssen raus aus diesem Wald!
In Leggett wähnen wir uns schon in Küstennähe, biegen nach rechts ab und verlassen damit zum ersten Mal seit wir die USA unter die Räder genommen haben den Highway 101. »One« heißt jetzt das zielführende Asphaltband Richtung Süden. Oder – wie zur Beflügelung unserer Ozean-Sehnsucht: Shoreline Highway. Von einem knackigen Anstieg war auf dem letzten Campground die Rede, von einem hart erkämpften Weg zum Meer. Gemunkelt wird aber viel und unsere Kondition ist im Laufe der letzten Wochen merklich gestiegen. Also Attacke!
Wir schnupfen ein mäßig sympathisches – dafür aber umso ambitionierteres – polnisches Pärchen (freuen uns dabei diebisch, tun aber cool) und pedalieren stoisch, Serpentine um Serpentine, gegen die Gravitation. Irgendwann fällt die Phrase »never ending climb«. Die Sonne brennt, der Schweiß tropft und unsere Motivation ist irgendwo zwischen Talsohle und den schiebenden Polen vom Rad gesprungen. Irgendwann geht es in langen Kurven bergab, doch der Schisskuppen von einem Berg hält noch einen zweiten Anstieg für uns bereit…
Die Abfahrt ist ein Fest auf der Ideallinie und wir sind rückblickend echt erstaunt, was mit verhältnismäßig simplen Fahrrädern und unverhältnismäßig schwerem Gepäck fahrdynamisch möglich ist. Klar, der Druckpunkt der Bremsen ist gar nicht mehr als solcher zu bezeichnen, der eigentlich ziemlich steife Alu-Rahmen macht in den Kurven plötzlich auf verwindungsfreudig und ja, im Weg stehen darf uns auf diesen Abfahrten auch nichts. Aber dem allen zum Trotz können wir es bergab mittlerweile ziemlich fliegen lassen. Wie zum Dank für unsere Materialignoranz bricht mir ein paar Meilen weiter wieder einmal eine Speiche. Yay!
Wieder am Meer zu sein ist großartig. Die Szenerie und Stimmung ist so schön, eine aufwändige Inszenierung hätte nicht besser abbilden können, was sich landschaftlich vor unseren Vorderrädern auftut. California at its best.
Obwohl es schon Anfang Oktober ist, ist das Klima selbst für diesen Landstrich heiß und trocken. Auf der ganzen Tour haben wir selten so hohe Temperaturen gehabt und die anhaltende Dürre ist bei den Locals Thema No 1. In einigen State Parks ist das Wasser für die Duschen abgedreht und läuft es doch mal aus dem Hahn, appellieren diverse Schilder sparsam mit dem kostbaren Nass umzugehen. Golfplätze und die parkartig begrünten Villen der kalifornischen Oberschicht sind von dieser Regelung selbstverständlich ausgenommen und zeigen sich dank großzügiger Bewässerung in den schönsten Grüntönen. Fuck off!
Unser Wasserkonsum beschränkt sich hauptsächlich auf abendliche Katzenwäschen und den täglichen Durchlauf an Trinkwasser. Wir saufen wie Kamele nach mehrmonatiger Wüstendurchquerung. Zwar hält die hiesige Topographie keine langen harten Anstiege für uns bereit, dafür summieren sich die täglichen Höhenmeter durch die permanente Berg- und Talfahrt. Die »One« lässt kein ausgetrocknetes Bachbett aus, schwingt sich anschließend meist von Meeresniveau sehr steil hügelaufwärts, nur um wenige hundert Meter später wieder im nächsten Canyon zu verschwinden. Die Fahrerei ist trotz aller Anstrengung mega spaßig und abwechslungsreich. Die Mittagshitze verbringen wir oft auf ausgebleichten Holzterrassen in winzigen Nestern, essen lecker home made Burger, gucken raus aufs Meer und schlürfen dazu das spätsommerliche, kalifornische Licht. Abende enden mit Lokalbräu im Sonnenuntergang, Tage beginnen mit einem Sprung in den kalten Pacifico. Das Leben könnte nicht besser sein!
Jede Kurbelumdrehung bringt uns näher an San Francisco. Zwei Tage beißen wir uns durch die zähe, träge und von aggressiven Moskitos geschwängerte Hitze von Marin County, verbringen eine letzte Nacht im Kreis einer sehr bunten, netten Schar von Radreisenden und stehen am nächsten Mittag vor den Toren der Stadt. Ein kurzer Kaffee-Stopp im hippen Fairfax (am Fuße des Mount Tamalpais, der Wiege des Mountainbikens), einige Kilometer in wechselnder Begleitung von Myriaden Spandex-tragender Rennradfahrer und plötzlich haben wir das Ziel der letzten 1300 Kilometer vor Augen. Crazy shit!
Es ist Sonntag und die Bay ist voller Segelschiffe, als wir Richtung Sausalito rollen. Ein unbekannter Radfahrer korrigiert freundlicherweise einen kleinen Navigationsfehler, schenkt uns seine Karte und erklärt einen velokompatiblen Weg zur Golden Gate Bridge. Wirklich begreifen kann ich die Situation ehrlich gesagt nicht, als ich Greta folgend auf die Rampe der Brücke zufahre.
/Al
Sa
13
Dez
2014
Strand, Palmen und lauwarmes Meer: Puerto Escondido versüßt uns die letzten Tage gehörig.
Es gibt uns noch und auch wenn es lange kein Lebenszeichen mehr gab, gehts uns ganz ausgezeichnet. Mittlerweile sind wir - ungewohnt velolos - in Mexico unterwegs und unsere Reisezeit verkürzt sich mit erschreckend großen Schritten. Eine dünne Internetz-Infrastruktur, aber auch kleine Motivationsdefizite in Sachen Blogpräsenz haben dazu geführt, dass Backcountry Diaries im Augenblick etwas verlottert und alles andere als aktuell daher kommt.
Tatsächlich haben wir die Köpfe (und zum Teil auch schon die Festplatten) voller neuer Geschichten, etliche Gigabytes frischer Fotos von den hohen Gipfeln der Sierra Nevada bis zu den Tiefen des
liebgewonnenen Pazifiks. Selbst ein paar bewegte Bilder wurden auf den Speicherkarten gebannt. Alles in allem zuviel Material für einen Schuss aus der Hüfte.
Long story short: Wir haben beschlossen, die Füße erst einmal hochzulegen, die sonnigen, warmen Tage ohne Schreib-, Sichtungs- und Upload-Action zu genießen und stattdessen die langen Winterabende daheim mit Westküsten-Prosa und kalifornischem Licht zu füllen.
/Al
Ach ja, unsere Facebook-Seite ist derzeit etwas aktueller und kann auch von Nicht-Facebookern ohne Profil oder Anmeldung besichtigt werden. Gleiches gilt für Fotos und Schappschüsse bei Tumblr.
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Mi
05
Nov
2014
Schwer bewaffnet: Großstadt-Raccoons sind besonders gefährlich.
Das Frühstück muss wieder einmal ausfallen. Und das, obwohl Alan soeben den verstopften Benzinkocher wieder in Gang gebracht hat. Aber jetzt heißt es packen, und zwar so schnell es geht. Denn
gerade haben wir von einem State Park Volunteer Besuch bekommen, der uns freundlicherweise darauf hinwies, dass der Ranger im Anmarsch sei. Worin das Problem liegt? Hm. Der State Park, auf dessen
Campground wir in der vergangenen Nacht unser Zelt aufgeschlagen haben, ist eigentlich geschlossen. Und uns winkt ein Ticket. Wir brechen unseren Pack-Rekord und gelangen unbehelligt auf den
Highway 1, der uns geradewegs nach Manchester - ein sehr kleines Kaff, das seinem europäischen Namensvetter keine Ehre macht - führt. Der hiesige Baumarkt fungiert gleichzeitig als Supermarkt,
das heißt für uns: endlich was zu futtern! Überraschenderweise umfasst das Sortiment nicht nur waschlappenähnliches Toastbrot, sondern sogar richtig gutes Brot einer nahegelegenen Bäckerei. Für
sehr viel Geld. Aber egal, das haben wir uns verdient!
Allein im State Park: Kein Wunder, er ist ja eigentlich geschlossen.
Nur wenige Stunden später fällt der Lichtkegel von Alans Stirnlampe (es ist inzwischen Nacht geworden) auf einen Waschbären, der hinter unserem Zelt herumlungert. Zwischen seinen Zähnen hält er eine Papiertüte fest. Die Tüte, in der sich der Rest unseres sündhaft teuren und ungewohnt schmackhaften Brotes befindet. Unser Frühstück für den kommenden Tag. Womit wir schließlich beim Thema sind: Raccoons, die fiesen Feinde aller Camper.
Mussten wir in Kanada unser Essen noch vor echten Gefahren in Form von hungrigen Schwarzbären verstecken, drohen uns jetzt lediglich Attacken von vergleichsweise harmlosen Waschbären. Die sind dafür umso verbreiteter. Tagsüber begegnen sie uns in Form von Roadkill auf der Straße, nachts terrorisieren sie uns auf dem Zeltplatz. Legendär sind die Geschichten, die sich Radreisende über nächtliche Raccoon-Besuche zu erzählen wissen. Reißverschlüsse – kein Hindernis für Raccoons. Sogar ganze Fahrradtaschen sollen von ihnen schon entführt worden sein. Der kluge Radreisende weiß also: Essen muss in den Food Locker, einen abschließbaren Schrank, den jeder State Park auf den Biker-Campsites angebracht hat.
Eigentlich gehören wir zur Kategorie der klugen Radreisenden (klar!). Das gute Brot ist sicher im Food Locker verstaut. Vermeintlich sicher. Hätte uns der fiese (und bemerkenswert dicke) Raccoon nicht eine hinterhältige Falle gestellt. Auf der Rückseite des morschen Holzschrankes befindet sich ein waschbärgroßes Loch.
Wer nun der Meinung ist, der dicke Raccoon gebe sich mit einem halben Brot zufrieden, der irrt! In dieser Nacht grunzt und raschelt es noch häufiger neben unseren Zelt. Viele Gelegenheiten für uns, um geeignete Abwehrstrategien zu testen. Noch vor dem Morgengrauen finden wir eine durchschlagende Waffe. Raccoons mögen, wie es scheint, keine schrillen, lauten Töne. Wie gut, dass wir eine Pfeife dabei haben! Wie gut, dass wir die einzigen Gäste auf dem Campground sind! Da pfeift es sich ganz ungeniert.
Am nächsten Morgen scheint die Sonne und tröstet uns über unser karges Oatmeal-Frühstück hinweg. Im Gebüsch neben uns raschelt es. Zwei satte Waschbären lassen sich die Sonnenstrahlen auf den Pelz scheinen. Ein versöhnlicher Anblick. Irgendwie sind sie doch gar nicht so fies, die berüchtigten Raccoons.
Die Ruhe nach dem Kampf: In der Morgensonne sieht die Welt und der Waschbär doch gleich viel friedlicher aus.
/Gr
Di
04
Nov
2014
Zwerge unter Riesen: So fühlen wir uns in den Redwoods.
Dass wir Oregon hinter uns gelassen haben, bemerken wir nicht nur an dem Schild, das uns in California willkommen heißt. Der Grenzübertritt gleicht geradezu einem vollständigen Kulissenwechsel.
Der Highway führt uns zielstrebig von der Küste weg – die Zeiten mit konstantem Panorama-Pazificoblick zur Rechten sind vorerst vorbei. Statt beschaulichen Küstenstädtchen passieren wir jetzt
spärlich besiedelte Dörfer, in denen sich offenbar seit Jahren niemand mehr berufen fühlt, dem Verfall etwas entgegenzusetzen. Einzig die Raccoons scheinen hier noch heimisch zu sein. Als wir um
eine Kurve fahren, scheuche ich eine Waschbärfamilie auf, die sich schnell auf den nächsten Baum rettet.
Nur wenige Kilometer später wartet bereits die nächste landschaftliche Zäsur auf uns: Wir verlassen die „Hauptreiseroute“ auf Anraten unserer Campground-Bekanntschaft Ryan aus Seattle Richtung
Jedediah Smith State Park. Nach wenigen hundert Metern wird es dunkel um uns herum uns wir fühlen uns, als wären wir schlagartig auf Miniaturformat zusammengeschrumpft – zumindest, wenn man die
Höhe der Bäume um uns herum als Referenzpunkt nimmt. Wir befinden uns inmitten eines jahrhundertealten Redwood-Waldes.
Wie bei jedem Abstecher von der offiziellen „Pacific Coast Bike Route“ sind wir in dieser Nacht die einzigen Camper auf der Hiker-Biker-Site. Unser Zelt schlagen wir zwischen zwei Baumriesen auf,
deren Stämme in etwa so breit sind wie unsere Behausung. Statt im Meer schwimmen wir an diesem Abend im Smith River und freuen uns über die – zumindest im Vergleich zum eisigen Pazifik –
badewannenähnliche Wassertemperatur.
Zurück auf der Hauptroute. Wir passieren Crescent City, wo wir uns eine Karte der kalifornischen Bike Route organisieren – der Kontrast zu Oregon könnte stärker nicht sein. Das Booklet, das uns
die Dame in der Visitor Information in die Hand drückt, sieht arg improvisiert aus. Die Seiten sind per Hand zusammengetackert, der Inhalt entsprechend. Die angegebenen Höhenprofile scheinen grob
per Hand skizziert worden zu sein, wie sich im Weiteren zeigen sollte.
Hinter Crescent City geht es gefühlt endlos steil bergauf. Am Ende der Steigung wartet der Campground auf uns – allerdings versteckt in einem Tal mehrere Kilometer unter uns. Wir vernichten die
gewonnen Höhenmeter im Rekordtempo und können die Abfahrt dennoch nicht genießen. Die Aussicht, am nächsten Morgen zunächst wieder eine gute halbe Stunde steil bergauf zu treten, ehe wir
überhaupt zurück auf der Route sind, trübt den Downhill-Spaß.
Unten angekommen treffen wir auf Kyle aus Montreal, der per Velo vom Burningman Festival zurückreist. Er ist gen Norden unterwegs und hat den Berg von der anderen Seite in Angriff genommen – ein
nicht minder frustrierendes Unterfangen. Dafür hat er Dried Mango im Gepäck. Die ist so lecker, dass wir den Climb am kommenden Morgen fast vergessen und sie ist außerdem der Grund, weshalb wir
bereits vor Betreten der ersten Filiale zu fanatischen Trader Joe’s-Jüngern werden.
Am nächsten Tag wird der Himmel grau und unserer Laune geht es ähnlich. Die Route hat nicht viel zu bieten außer einen autobahnähnlich ausgebauten 101, die sich schier endlos wirkende Hügel
hinaufzieht. Ein kurzer Lichtblick ist der Abstecher durch die Redwoods auf dem Newton B. Drury Scenic Parkway. Vom Pazifik kriegen wir tagelang nichts zu sehen – nach unserem innigen Verhältnis
an der Küste Oregons vermissen wir ihn schmerzlich.
In Arcata ist unsere (und insbesondere meine) Fahrmoral auf dem Tiefststand. Wir beschließen, ein paar Tage Pause zu machen und entdecken in dem erfrischend alternativen und etwas durchgeknallten
Hippie-Örtchen ein hübsches kleines Hostel. Wir würden länger bleiben, würde das Hostel am nächsten Tag nicht vorübergehend wegen Reparaturarbeiten schließen.
Haus statt Zelt: In Arcata schlafen wir seit langer Zeit mal wieder in einem richtigen Bett.
Uns bleibt nichts anderes übrig, als ein paar Kilometer weiterzuziehen zum nächsten Campground – ausnahmsweise kein State Park sondern ein privater mit jeder Menge Annehmlichkeiten wie Wifi im
Zelt, Pool und Hot Tub.
Der Regen kommt. An Weiterfahren ist nicht zu denken. Wir decken uns gegenüber im Outlet einer Backwarenfabrik mit Bagels, Muffins und Cookies ein und kommen so durch den Tag, ohne den Kocher im
Regen anwerfen zu müssen. Keine gute Idee: Am nächsten Tag geht es unter Schmerzen weiter. Die Bagel-und-Muffin-Diät hat ein fieses und anhaltendes Stechen in meiner Magengegend hinterlassen.
Besser wird’s erst am Nachmittag, auf dem schönen Teil der Etappe – der Avenue of the Giants, die uns parallel zur inzwischen verhassten 101 durch Redwood-Schluchten führt. Am Abend treffen wir
auf der Hiker-Biker-Site Peter aus Schottland und müssen feststellen, dass andere Leute wohl einen noch härteren Tag hatten als wir: Peter hat auf dieser Etappe ganze fünf Platten flicken
müssen.
Weitere zwei Tage kämpfen wir uns durchs Hinterland. Der zunehmende Verkehr der 101 und fiese Steigungen sind unsere ständigen Begleiter. Doch wir haben ein Ziel vor Augen: Der Abzweig auf den Highway 1, der uns zu unserem treuen Freund Pazifiko zurückbringt. An der Kreuzung in Legget sagen wir den Redwoods Goodbye – und fahren ganz amerikanisch durch einen Drive-Thru-Tree.
/Gr
Mo
20
Okt
2014
Die Freude über eine erneute Panne kann ich nur schwer zurück halten.
Mit einem ohrenbetäubenden Knall verlassen wir Oregon und eine kleine, feine Pannenserie findet ihre Fortsetzung. Im ersten Moment weiß ich noch gar nicht so recht wie mir mir geschieht und bis
die Erkenntnis durchgedrungen ist, hab ich schon ein paar Meter auf dem blanken Laufrad zurückgelegt. Der verdammte Vorderreifen ist geplatzt. Schlingernd komm ich zum Stehen. Mir pfeifen die
Ohren und Greta schaut mich verdutzt an. Dann müssen wir erstmal bissl lachen. Schlauch und Reifen haben sich vom Laufrad verabschiedet und hängen lose zwischen Nabe und Gabel. Bergab wäre der
kleine Zwischenfall zum großen Desaster mutiert und ich hätte vermutlich in Folge eines Lowsiders einen unangenehmen Abflug hingelegt. Jetzt lache ich noch lauter und erkläre mit ungezügeltem
Optimismus, dass wir den Schlauch schon wieder repariert kriegen. Den 15 cm langen Riss hab ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht gesehen.
Sieht eindeutig schlimmer aus als es ist.
Man könnte jetzt menschliches Versagen als Ursache für das Intermezzo anführen, schließlich habe ich nach der Reparatur der gebrochenen Speiche am Hinterrad alle 4(!) Reifen an der Tankstelle
großzügig (7 bar) mit Luft befüllt und mich circa 5 Kilometer lang diebisch über den geringen Rollwiderstand gefreut, bevor die Ausgelassenheit kurzzeitig von besagtem Knall unterbrochen wurde.
"Materialermüdung" geht mir besser von den Lippen. Der Schlauch war ja schon alt. Echt mal.
Ein paar Kratzer, eine kleine Beule und schon ist das Vertrauensverhältnis zum Material dahin.
Den kleinen Riss kann man sicherlich wieder flicken. Jaja, wer den Schaden hat...
Wie auch immer, die Stelle könnte für eine Reparatur kaum geeigneter sein. Ratzfatz ist das ganze Geraffel abgepackt und das Werkzeug zur Hand. Die Felge hat zwar ein paar Blessuren davon
getragen und eiert merklich, aber ein Ersatzschlauch ist schnell aus der Packtaschen gezogen und routiniert aufgezogen. Jetzt haben beide Räder eine fette Acht. Mit deutlicher Unwucht und dezent
getrübtem Vertrauen in die Stabilität meiner Laufräder fahren wir gen Redwood Forest.
Viel Platz für viel Gepäck. Eine nette Lady aus der Nachbarschaft bietet uns sogar Wasser an. Nett sind se, die Amis.
Zwei Tage später stehen wir in Arcata, einer Neohippie-Bastion in Nordkalifornien. Der local Bikeshop hat auch am Sonntag die Pforten offen stehen und in der Werkstatt nimmt man sich umgehend
meinen geschundenen Laufräder an. Alles halb so wild, erklärt mir der Mechaniker und bring die Räder wieder ins Lot.
Doch die Freude über mein zentriertes Gefährt währt nicht lange. Nach zwei harten Climbs und entsprechend ausgelassenen, schnellen Abfahrten (Video folgt) verabschiedet sich bei Westport eine
weiter Speiche meines Hinterrads. Mit einem scheppernden Geräusch gibt das sensible Bauteil auf und lässt das Rad samt der verbleibenden Verstrebungen mit dem altbekannten Seitenschlag zurück.
Unter den Radreisenden sind wir - laut Jamie aus Texas - talwärts die schnellsten und offenbar finden meine filigranen Messerspeichen weniger Gefallen an den Abfahrten und Haarnadelkurven als
ich. Über 65 km/h zeigt das GPS für den Tieflug gen Küste an. Solange der Rahmen hält....
In Arcata nimmt man sich meinen eiernden Laufrädern mit dem richtigen Werkzeug und Knowhow an.
Speichen ersetzen gehört jetzt zu unserem Repertoire und mit einem simplen Kabelbinder-Lifehack werde ich zumindest dem groben Seitenschlag Herr. Immerhin, bis Santa Cruz gab es - trotz der
improvisierten Reparatur und rund 800 gefahrenen Kilometern - keinerlei Ausfälle zu beklagen. Die Ersatzspeichen sind allerdings jederzeit zur Hand und auch mit dem Luftdruck halten wir uns
bissl zurück - quasi um der Materialermüdung vorzubeugen.
/Al
Mo
06
Okt
2014
Gewinnt täglich an Bedeutung: Die Stirnlampe.
Eureka, Kalifornien, 7:15 pm. It’s picture time! Das Motiv: Ein Sonnenuntergang. Klingt ja eigentlich super. Das Problem jedoch liegt im Detail: Es ist Viertel nach sieben. Und es wird dunkel.
Jetzt schon!
Wir können dem Sommer zwar Richtung Süden folgen, die Tage werden aber trotzdem kürzer. Die Nachteile für Fahrradnomaden wie uns liegen auf der Hand: Uns bleibt weniger Zeit für die Tagesetappe (zumindest wenn wir nicht unbedingt im Dunkeln auf dem Highway unterwegs sein wollen), folglich auch weniger Zeit für ausgedehnte Mittags- und Kaffeepäuschen. Das Zelt müssen wir immer häufiger im Dunkeln aufbauen und das Camp Dinner mutiert zum Candlelight Dinner – naja, oder meistens eher zum Headlamp Dinner. Headlamp, zu Deutsch die Stirnlampe - neben Fahrrad und Zelt vermutlich eines der wichtigsten Untensilien auf dieser Reise.
Was hab ich mich noch vor nicht allzu langer Zeit über Stirnlampen amüsiert! Inzwischen bin ich geläutert und selbst Besitzerin einer „Petzl Tikka“ (diesen Namen fand ich einst fast noch kurioser
als die Stirnlampe an sich – mehrfach hintereinander als ein Wort, also Petzltikka, Petzltikka, Petzltikka, ausgesprochen, gewinnt das Ganze eine sehr eigene Dynamik). Meine „Petzltikka“
jedenfalls steigt in meiner Wertschätzung mit jeder Minute, um welche die Tage kürzer werden. Kamen mir Stirnlampenträger früher noch wie plumpe, leicht debil wirkende Tiefsee-Anglerfische vor
(diese Kreaturen mit der eingebauten Laterne vor der Nase), fühle ich mich heute damit eher wie ein agiles Glühwürmchen – oder gar ein erleuchtetes Einhorn.
Die gute "Petzltikka", treue Begleiterin in dunklen (und, wie hier, auch in hellen) Stunden.
Der praktische Nutzen einer Stirnlampe bei einem Campingtrip jenseits einer Infrastruktur von Lichtschaltern und Straßenlaternen steht außer Frage. Doch auch im urbanen Umfeld kann die
„Petzltikka“ punkten:
- Urbanes Anwendungsbeispiel Nr. 1: Annähen eines schwarzen Knopfes auf schwarzem Stoff mit schwarzem Faden – der Lichtkegel der Petzltikka verhindert blutige Fingerkuppen!
- Urbanes Anwendungbeispiel Nr. 2: Suche eines kleinen Schlüsselbundes in den Untiefen einer großen schwarzen Umhängetasche – der Schein der Petzlztikka öffnet Türen!
- Urbanes Anwendungsbeispiel Nr. 3: Nachforschungen zum Verbleib eines Ohrring-Verschlusses unter dem Sofa und zwischen Staubmäusen – die Petzltikka lässt Damenohren erstrahlen!
Fotos beschmieren: Ein großer Spaß, bei dem die Stirnlampe als Stift dient.
Ja, ich gestehe, ich bin inzwischen Petzltikka-addicted. Gestern Abend im Zelt setzten kurz die Entzugserscheinungen ein. Die Stirnlampe lag – ausgeschaltet – irgendwo vergraben zwischen
Schlafsäcken, Isomatten und Klamotten. Die Folge: hektische Suche, große Erleichterung beim Wiederfinden. Kennt man sonst eigentlich nur, wenn mal das Handy unauffindbar ist.
Und, ich gestehe außerdem: Ich habe meine kleine Nichte angefixt. Zum siebten Geburtstag gab’s von mir eine pinke „Petzl Tikkina“. Sie hat sich darüber übrigens sehr gefreut.
/Gr
Mi
24
Sep
2014
Oregons Küste ist ein ständiges Auf und Ab.
Der Weg aus Washington raus und nach Oregon rein ist kein leichter. Der Columbia River muss überquert werden und der Strom ist an dieser Stelle mehrere Kilometer breit. Schon von weitem sehen wir die „Astoria Megler Bridge“, eine sechs Kilometer lange Stahlbrücke, die die beiden Bundesstaaten miteinander verbindet. Das grüne Ungetüm leitet den Verkehr bis kurz vor Astoria nur wenige Meter oberhalb der Wasseroberfläche geradewegs auf das Südufer zu, um dann kurz vor der Staatsgrenze in einem hohen Bogen an Höhe zu gewinnen. Für uns heißt es also kurz vor dem Ziel in einem langen Anstieg gen Himmel kriechen und anschließend die gewonnenen Höhenmeter wieder maximal schnell zu vernichten. Soweit alles gut, nur leider gibt‘s weder Seitenstreifen noch Trottoir, von einem Radweg ganz zu schweigen. Zudem ist die one-o-one heute voll von Rednecks in absurd großen Autos, die unserer zugegebenermaßen chamäleonartig langsamen und vor allem unmotorisierten Fortbewegung zweifellos wenig Verständnis entgegenbringen. Ich möchte mich jetzt nicht in Details verstricken, nur so viel: Die Überquerung des Columbia River gleicht einem Spießrutenlauf, den wir gemeinsam mit Jess - einer Frankokanadierin - im Konvoi zügig hinter uns bringen. Schwimmen hätte nicht viel unangenehmer sein können.
Oregon ist großartig, wir fühlen uns Kanada gleich wieder näher. Die Infrastruktur an State Parks ist üppig und dank der speziellen Hiker-Biker-Plätze zahlen wir nur 10 Bucks pro Nacht. Warme Duschen sind inklusive und fast so sauber wie im heimischen Bad. Meistens ist das Meer nicht weit und auf den Etappen geizt die Pazifikküste nicht mit ihrem rauen Charme. Mindesten alle 50 Meilen kommen wir in Ortschaften, deren pittoreske Holzhäuser sich in die Dünen schmiegen und gemütliche Cafés und schummrige Bars zum durchhängen einladen. Dank diverser Microbreweries ist die Bierdichte und -auswahl kolossal und wenn man nicht genau weiß, ob man jetzt lieber das lokale Pale Ale, Amber Ale, IPA oder doch was ganz anderes trinken mag, schiebt der Barkeeper einen Testschluck in einem üppig dimensionierten Schnapsglas als Entscheidungshilfe über den Tresen. Da geht einem echt das Bierherz auf.
Wir lernen ständig interessante und verdammt nette Leute kennen, die um Empfehlungen, Adressen und Unmengen an Zuspruch nicht verlegen sind.
Peter treffen wir an der Theke von Bill's Tavern in Canon Beach. Als gebürtiger Brite hat er sich mittlerweile in Oregon niedergelassen und schwärmt in den höchsten Tönen vom beautiful Green State. Über den Pints des Lokalbräu und seinem Essen hinweg kommen wir ins Gespräch. Er selbst hat schon diverse Long Distance Rides hinter sich, ist unter anderem von John O'Groats bis an die Südspitze Englands geradelt. Die Sympathien beruhen offenbar auf Gegenseitigkeit und so rückt der alte Mann zu vorgerückter Stunde mit wertvollen Tipps raus.
In Depoe Bay, so meint er, sollen wir uns Zeit nehmen und ein bisschen den Ozean beobachten. Nach spätestens 30 Minuten hätte er bisher jedes Mal Wale direkt vor der Küste gesichtet.
Tage später stehen wir auf einem Felsen oberhalb von Boiler Bay unweit vom besagten Depoe Bay und lassen den Blick entlang der bergigen Küstenlinie schweifen. Es dauert keine fünf Minuten, da entdecken wir die erste Atemwolke. In der nächsten Stunde sehen wir im Minutentakt Buckel und Flossen, zum Teil nur 20 Meter von den Klippen entfernt. Südlich von Depoe Bay schauen wir dann den Robben beim Sonnenbad zu und sind mächtig beeindruckt. Die Natur ist echt mal großes Kino.
Eine andere lustige Wal-Anekdote ereignet sich einige Tage später am letzten Anstieg kurz vor dem Humbug Mountain State Park. Ich meckere gerade über fehlendes Entertainment während der Bergetappe, schaue auf Meer und rufe Greta zu, dass ich jetzt zumindest einen Wal oder gar einen Hai sehen mag. Kaum ausgesprochen taucht ein Wal zwischen zwei vorgelagerten Felsen auf. Die Natur ist das größte Kino!
Auf der Liste der Tiersichtungen stehen außerdem diverse Waschbären, tote Stinktiere, Squirrels, ein Kolibri und der zeternde blaue Vogel mit der schwarzen Irokesen-Frise - ein Dauergast in den küstennahen Wäldern. An einem nebligen Strand finden wir außerdem etwas, das verdächtig nach einem Haifischzahn aussieht. Die Größe des Fundstücks lässt auf einen „Great White“ schließen.
Kurz vor der kalifornischen Grenze bricht mir am Hinterrad eine Speiche. Da ich nach 80 Kilometern keine Lust verspüre, den Abend mit Reparaturen im Schein der Stirnlampe zu verbringen, beschließen wir, uns der Sache am nächsten Tag in Ruhe und in Kombination mit einem Pausentag zu widmen. Die Entscheidung fällt uns nicht schwer, denn ein weiterer Tag in Oregon ist selbst mit öligen Fingern eine sehr angenehme Aussicht.
/Al
Mo
15
Sep
2014
Camping im "land of the free": Für uns war nur noch auf der Baustelle Platz.
America – the land of the free. Und mit unbegrenzten Möglichkeiten und so. Selbstverständlich ist es da auch erlaubt, jederzeit in der Wildnis ein Nachtlager aufzuschlagen. Gehört ja schließlich irgendwie dazu zur persönlichen Freiheit.
„Wie praktisch!“ denken wir uns und kundschaften via Google Earth einen passenden Spot für unsere erste Nacht in den USA aus – schön am Meer gelegen und nur einen kleiner Abstecher von unser
eigentlichen Route entfernt. Denn die Fähre erreicht Port Angeles an der Nordküste der Olympic Peninsula erst spät abends, zu spät, um noch bei einem Campground einzuchecken. Die schließen
gewöhnlich mit Einbruch der Dunkelheit ihre Pforten. Und dunkel ist es längst, als die Fähre im typisch nasskalten Pazifiknebel den Hafen und die USA erreicht.
Die Olympic Peninsula im Norden des US-Bundesstaates Washington empfängt uns mit dem typisch nasskalten Nebel.
Über dem verschlafenen Örtchen liegt eine gespenstische Stille. Die Straßenlaternen werfen ihre Lichtkegel in die Nebelbank und sorgen damit zumindest für ein bisschen Durchblick in der Fremde.
Einladend ist anders, aber was soll’s. Ab aufs Rad und schnell die zehn Kilometer zu unserem Nachtlager-Spot fahren. Der Highway führt uns in kurzer Zeit hinaus aus der Stadt und damit auch aus
dem Schutz der Straßenlaternen. „Die Stirnlampen könnten auch mal wieder neue Batterien gebrauchen…“, stellen wir hier sehr bald fest. Die Straße wird zweispurig, aber zum Glück war auch noch
etwas Geld für eine akzeptable Shoulder (so heißt hier der Seitenstreifen) übrig, die wir auf dem äußersten rechten Rand befahren. Neben den gewohnten Straßenschildern mit ungewohnten
Geschwindigkeitsangaben in Meilen (in Kanada galten noch Kilometer) häufen sich bedrohlich wirkende Mahnungen: „Don’t drink and drive!“ Oder aber auch: „Don’t drug and drive!“ Darunter - in
memory - die Namen derer, die nun unfreiwillig ein Exempel statuieren.
Aufbruch ins Ungewisse: In Port Angeles beginnt unsere nächtliche Suche nach einem Schlafplatz.
Der Abzweig zu unserem prädestinierten Lagerplatz naht und wir sind froh, dem nächtlichen Highway zu entkommen. Wir fahren ein Stück durch den Wald und landen in einer kleinen Wohnsiedlung. Am Ende der Straße wartet das Meer und unser ersehnter Lagerplatz auf uns – leider hinter einem unmissverständlichem Warnschild: „Private Road – No Trespassing!“ Eine Warnung, die man ernst nehmen sollte in einem Land, in dem zu jeder gutsortierten Mall auch ein Waffengeschäft gehört. Eine Alternative muss her. Wir streifen durch die gesamte Siedlung und treffen entweder auf umzäunte Privatgrundstücke oder entsprechende Schilder, die daran erinnern, dass mit Privateigentum nicht zu spaßen ist. Irgendwann stehen wir wieder oben am Highway und haben das beklemmende Gefühl, selbst umzäunt zu sein. In der Wohnsiedlung sind wir nicht erwünscht, und nochmal auf den Highway zu fahren, ist auch keine Alternative.
Bestandsaufnahme: Wir befinden uns auf einer Baustelle, links neben uns der Highway, rechts der Verbotsschilderwald. Welche Möglichkeiten haben wir? Eigentlich exakt eine: Auf der Baustelle
campieren. Warum auch nicht: Am darauffolgenden Tag ist Sonntag und die Chancen stehen gut, unbehelligt von Bauarbeitern davonzukommen. Zudem scheint die Baustelle „public land“ zu sein (eine
neue Auffahrt zum Highway ist vermutlich ein öffentliches Projekt) und außerdem grenzt dahinter ein schon fast idyllisches Wäldchen an.
Um Mitternacht steht das Zelt. Unsere erste Nacht in den USA ist nicht nur deshalb kurz: Am nächsten Morgen verlassen wir um 7 Uhr das Zelt (wer weiß, ob die Amerikaner nicht doch auch sonntags
arbeiten): Der erste Blick fällt auf ein paar Rehe, die im angrenzenden Wäldchen entspannt grasen. Der zweite Blick offenbart einen riesigen Haufen Plastikmüll und Bauschutt, gerahmt von mehreren
Baggern. Wir beschließen, das Frühstück auf später zu verschieben und suchen das Weite.
Auf der einen Seite ganz nett, auf der anderen voll mit Dreck: So nächtigt es sich auf Baustellen.
/Gr
So
31
Aug
2014
Raus mit dem Dreck, der Himmel ist ja eh schon grau.
Schläft's oder ist es tot? In Aberdeen vermutlich eher Zweiteres.
Jemand da? Ziemlich verlassen das Nest. Man kann es niemandem verdenken....
Was kostet die Welt? Egal, Aberdeen wollte ich geschenkt nicht haben!
/Al
Do
28
Aug
2014
Goodbye und au revoir Canada! Schön war's bei dir!
A wie Ankunft: Die Passkontrolle am Flughafen Vancouver überrascht durch Ungezwungenheit. Keine Fingerabdrücke oder Augenscans, wie man es aus dem Nachbarland kennt. Stattdessen
ein scherzender Beamter, der seine spärlichen Deutschkenntnisse zum Besten gibt.
B wie Brot: In Kanada vor allem in sehr softer, sehr weißer Ausführung zu bekommen. In manchen Läden auch in sehr softer, nicht ganz so weißer Form mit dem Namen „German Style
Bread“ zu haben. Es macht seinem Namen jedoch definitiv keine Ehre. Echtes, knuspriges deutsches Brot rangiert infolgedessen auf der Rangliste unbefriedigter Begehrlichkeiten auf Platz eins.
Abhilfe schafft die Wild
Fire Bakery in Victoria. Mmmh!
C wie Canada: Der Name Canada ist mit hoher Wahrscheinlichkeit vom Wort kanata abgeleitet, das in der Sprache der Sankt-Lorenz-Irokesen „Dorf“ oder besser „Siedlung“ bedeutet.
Sagt zumindest Wikipedia. Wir
glauben das mal.
D wie Dosenfutter: Hilfreiche Form der Haltbarmachung von Lebensmitteln, wenn man ohne Kühlschrank reist. Erkenntnis: Spaghetti Bolognese mit Corned Beef statt Hackfleisch
schmeckt wie Fertigbolognesesauce aus dem Glas. Sind wir einem weiteren Trick der Lebensmittelindustrie auf die Schliche gekommen?
Corned Beef statt Hackfleisch: Kompromisse, die man ohne Kühlschrank eingehen muss. Und schmeckt nicht mal so übel wie es aussieht.
E wie Elch: Gibt es auf Vancouver Island. Sagt man. Wurden von uns jedoch nur als Touristenplüschattraktion in Victoria gesichtet.
Kein Elch in Sicht, auch wenn anderes behauptet wird.
F wie Fitness: Zweck, zu dem Kanadier Fahrräder besitzen und benutzen. Folglich sieht man auf kanadischen Straßen Fahrräder meist nur auf Bikeracks montiert an der Rückseite von Campern oder auf Ladeflächen von Pick-ups. Kurioseste Ausprägung: Ein Hometrainer neben dem Zelt – so gesehen auf dem Campground des Little Qualicum Falls Provincial Parks.
G wie Granny: „They drive like a Granny.“ – Beschreibung des kanadischen Fahrstils durch unsere AirBnB-Gastgeberin in Vancouver. Treffender ließe es sich kaum
formulieren.
H wie Humor: In Kanada vorhanden, manchmal in etwas schrulliger Form. Kostprobe: „Do you know why a bicycle cannot stand up by its own?” “Eeeh, no…?” “Because it’s too [two] tired [tyred].” #achtungwortwitz
I wie Internet: Seltenes, sehr begehrtes Zivilisationsgut. An der Westcoast von Vancouver Island nur in 56k-Modemqualität zu bekommen.
J wie Juan de Fuca Strait: Trennt Kanada von den USA. Wurde von uns mit der Fähre überquert.
Unterwegs auf der Juan de Fuca Strait: Am Horizont warten die USA auf uns.
K wie Koodo: Name unseres kanadischen Mobilfunkanbieters. Leider waren wir nicht in der Lage, das unglaublich seltsame Mobilfunk- und Telefonnummernsystem in Kanada zu
durchschauen. Folglich konnten wir nicht wirklich etwas mit unserer SIM-Karte anfangen. Telefonate waren in unserem Prepaid-Tarif nicht vorgesehen, und trotz Eingabe eines mysteriösen Calling
Codes vor der Landesvorwahl ist es uns nicht gelungen, SMS nach Deutschland abzusetzen. Fazit: zu kompliziert. Und irgendwie ziemlich nutzlos.
L wie Lebensstil: Unserer: nomadisch: Der kanadische: sehr amerikanisch. Unterm Strich: Zwei Welten.
M wie Mall: Shopping in Kanada findet häufig in den unendlichen Weiten künstlicher Retortenstädte, genannt „Mall“ statt. Bei geneigten Zuschauern der US-Sitcom „How I met you
mother“ schleicht sich beim Anblick eines solchen Gebildes unweigerlich einen Ohrwurm ein. Let’s go to the mall!
Achtung, Ohrwurmgefahr! Dennoch eine sehr passende Hymne für die kanadisch-amerikanischen Einkaufsgewohnheiten.
N wie Nunavut: Das jüngste aller kanadischer Territorien besteht in seiner heutigen Form erst seit 1999 und räumt den dort ansässigen Inuit besondere Rechte ein. Ein Name bzw.
Landstrich, von dem wir vor der Tour noch nichts wussten.
O wie Ozean, pazifischer: Ist sehr kalt. Aber auch schön. Und häufig von Nebelbänken bedeckt.
P wie Pick-up: Was in Deutschland der VW Golf ist, ist hier der Pick-up. Entsprechend ist der kanadische Alltag auf Pick-up-Kapazitäten ausgelegt. Das stellt Radreisende vor neue
Herausforderungen: Der Transport von 1,5l-Fässern Mayonnaise oder 750ml-Duschgelflaschen ist für einen Pick-up kein Problem - wohl aber für den überladenen Reiseradler.
Pick-up taugliche Verpackungsgrößen: 1,5 Liter Mayo - eher die Regel als die Ausnahme in kanadischen Supermärkten. Nichts für unseren Proviantbeutel!
Q wie Queen: Ankunft am Flughafen Vancouver. Zum ersten Mal in Kanada. Jetzt erstmal Bargeld ziehen. Der ATM rattert und spuckt ein paar Scheine aus. Ich nehme sie aus der Luke und sehe: Die Queen. Mit ihr hatte ich hier nicht gerechnet. Aber der Commonwealth ist überall!
R wie Regierungschef: Die Begegnung mit der Queen auf den kanadischen Dollarscheinen wirft weitere Fragen auf. Wir stellen fest, wir wissen nicht viel über dieses Land. Wer ist
eigentlich der Chef von Kanada (von der Queen mal abgesehen)? Tine, unsere Gastgeberin in Victoria, klärt uns auf: Der seit 2006 amtierende Premierminister heißt Stephen Harper und war ziemlich
tight mit George W. Bush.
S wie stop sign: 4-way-stops sind an kanadischen Kreuzungen die bevorzugte Verkehrsregulierung. Bedeutet: Im Zweifel bleiben alle erst einmal stehen und warten, was die anderen
so machen. Eine zeitraubende Angelegenheit. Siehe G wie Granny.
T wie Transparenz: Kanadische Geldscheine sind aus Plastik - oder um genauer zu sein: aus Polymer - und enthalten einen fancy transparenten Streifen. Außerdem sind sie sehr praktisch. Die Bank of Canada gibt ein paar Tipps zum Handling der neuen Gelscheine: „Wischen Sie verschmutzte Noten mit einem feuchten Tuch ab.“ Oder aber: „Trocken Sie nasse Noten mit einem Handtuch ab.“
U wie unendliche Weiten: Tatsache, für die Kanada bekannt ist. Fühlt sich auf dem Fahrrad noch unendlicher an. Und das, obwohl wir nur Vancouver Island und nicht ganz Kanada
durchquert haben.
Wohin man blickt, nirgendwo eine Spur von Zivilisation. Unendliche Weiten gibt es in Kanada zweifellos.
V wie Vancouver vs. Victoria: Große Erwartungen unsererseits an V1 (Vancouver), keinerlei Erwartungen an V2 (Victoria). V2: echt nice! V1: Schon gut, aber muss nicht
unbedingt.
W wie Wildlife: Gab es en masse. Bären, Rehe, Wale, Hasen, Spechte, sonstige komische Vögel, Squirrels, Schlangen, Ameisen. Und Mosquitos.
Ein harmloser Vertreter der Tierwelt: Ein Specht, der den Baum eines Campgrounds mit uns und unseren Hängematten teilte.
X wie X-Men: Das Hatley Caste, welches manch einer vielleicht aus den X-Men-Filmen kennt, steht in der Nähe von Victoria und wurde uns von unserer Gastgeberin Tine gezeigt.
Gefolgt von einem X-Men-Filmabend. Unser erster und einziger Fernseh-Chips-Bier-Sofa-Abend in Kanada.
Y wie Yukon: Auch ein Teil von Kanada. Da waren wir nicht.
Z wie Zelt: Unser Homesweethome. Das Beste wo gibt. Vier von sechs Wochen in Kanada haben wir darin gehaust und fanden es sehr gemütlich. Das kleine blonde kanadische Mädchen mit dem pinken Glitzerfahrrad auf dem Campground hingegen fand es äußerst weird. Unvorstellbar, dass wir zu zweit in diesem winzigen Zelt hausen. Ihre Welt bemisst sich wohl auch in Pick-up-Kapazitäten.
So idyllisch kann es sein, das Leben im Zelt.
/Gr
Sa
23
Aug
2014
Bei Nacht sind alle Städte schön: Abendliches Panorama an Seattles Waterfront.
Amerikanische Städte machen es einem nicht leicht sie zu mögen. Trotz fetter Vorschusslorbeeren und einer unvoreingenommenen, echt mal positiven Grundhaltung bleiben sowohl Vancouver, aber vor
allem Seattle (sprechen die Locals etwa so aus: Sijääähdl) hinter den Erwartungen zurück.
Ratlos stehen wir in Downtown und sind uns nicht sicher, ob wir jetzt irgendwas übersehen haben, oder uns unsere europäische Sozialisierung den Blick trübt.
Ich will auch gar nicht rumnörgeln, schließlich wurde man gewarnt. Mehr als einmal sagten Freunde Sätze wie: " Also für meinen Geschmack wäre mir da zu wenig Kultur....". Und ein ums andere mal
hab ich beteuert, dass es uns in erster Linie schließlich um die Natur, Landschaft und Weite geht. Der Plan geht so auch durchaus auf und doch reden wir derzeit sehr gerne über Lissabon,
Marrakesch oder Amsterdam.
In regelmäßigen Abständen habe ich ein Neuseeland Déjà-vu, denn schon dort stellte sich milde Enttäuschung ein, wenn man einem Schild mit einer "Ancient Building, Bridge, whatever" folgte, und
ein Bauwerk vorfand, dass in Good Old Europe eher unter die Kategorie Nachkriegs-Architektur fallen würde. Jetzt klingt das alles deutlich negativer, als es eigentlich gemeint ist. Gestern Abend
hatten wir eine tipptopp Fotosession an der Waterfront, danach frischen Lachs und gutes Bier. Die Leute sind mega nett und hilfsbereit. Victoria war eine viktorianische Perle und in Vancouver
ging's uns verdammt gut, aber gegen Flair, Patina, kleine Gassen, greifbare Geschichte und in Jahrhunderten gewachsene Altstädte kommt's halt nicht an.
Jetzt planen wir gerade unsere weiteren Etappen und überlegen, Portland zu streichen und uns stattdessen mehr Zeit für Oregons Küste zu nehmen. Frei nach Thoreau: Auf in die
Wälder!
Und weil es dort mit der Stromversorgung wie auch der Internetzverbindung eher schlecht ausschaut, hauen wir noch ein paar Fotos der letzten Wochen raus. Out of the Box, weil das digitale
Nachschönen gerade zu mühselig ist.
/Al
Do
14
Aug
2014
Nanaimo, 10 am: Es herrscht Aufbruchsstimmung. Die Handgriffe sitzen, alles hat seinen Platz und wir sind gefühlt in Rekordzeit bereit zur Abfahrt. Ja, das Nomadenleben ist inzwischen Alltag
geworden. Ein sehr angenehmer Alltag. Zumindest solange die Sonne scheint. Auf geht's nach Duncan!
/Gr
Fr
08
Aug
2014
Ausnahmsweise herrscht heute mal kein Feuerverbot. Da lassen wir uns nicht zweimal bitten.
Wenn ich an die Westküste von Vancouver Island dachte - lange bevor der Plan zu der Reise entstand - hatte ich immer dichte Wälder im Kopf, die bis an den tosenden, kalten und perfekte Wellen formenden Pazifik reichen. Die weitläufigen Strände bedeckt von hölzernem Strandgut, das auf Grund seiner schieren Größe so manchen Frachter auf offener See in Bedrängnis bringen könnte. Im Hintergrund vielleicht schneebedeckte Gipfel und ein paar marodierende Bären, die Lachse direkt aus einem naturbelassenen Fluss fangen.
Nun, was soll ich sagen... Das Wildnis-Wonderland im Geiste unterscheidet sich nur in beinahe nichtigen Details von der Westcoast-Wirklichkeit. Dichte Wälder - check. Und tatsächlich befinden
sich die moosigen Regenwälder in perfekter Koexistenz mit feinen Sandstränden, auf denen lose verteilt mächtige Holzstämme liegen. Der kalte Pazifik - check. Der atemraubenden Wassertemperatur
trotzen wir bei Bedarf allerdings mit den eigens mitgeführten Neoprenanzügen. Damit kann man fließend zu den Punkten "tosend" und "perfekte Wellen formend" überleiten, von denen wir uns
angesichts des deutlich hinter seinen Möglichkeiten bleibenden Pacificos aber leider distanzieren müssen. Nur soviel dazu: 9"0 und 8"6. Nein, nicht die Koordinaten der erhofften Surfspots,
sondern die Länge der Bretter, die nötig waren um in den hüfthohen und mit dem Druck eines umfallenden Wassereimers brechenden Wellen einen angenehmen, jedoch surftechnisch eher flachen
Nachmittag zu verbringen.
Schneebedeckte Gipfel - check. Zumindest wenn man den Blick ostwärts über das beinah unglaublich schöne Tofino-Inlet schweifen lässt. Bleiben noch die schaurig schönen Begegnungen mit der lokalen
Fauna über die sich Greta an anderer Stelle ja schon ausgelassen hat. Also check. Doublecheck sogar, da uns mittlerweile Bär Nummer 2 am Straßenrand begegnet ist.
Die Zeit in Tofino ist sehr entspannt. In zwei kleinen Etappen hangeln wir uns von Uclulet via Green Point bis zum hochgelobten "Bella Pacifica Campground" hinauf, um festzustellen, dass dort
nicht mal mehr ein Platz für unser kleines Zelt zu finden ist. Man schickt uns über die Straße zum "Mackenzie Beach Resort", dessen Name deutlich mehr mondänen Flair erhoffen lässt, als der
teure, dafür aber allabendlich überbuchte und mit lausigen drei Toiletten ausgestattete Platz tatsächlich aufzuweisen hat. Dafür ist der Strand nur ein Steinwurf entfernt und der kostenlose, mit
Surfrags ausstaffierte Tofino Bus (Surfboards welcome - sic!) fährt direkt vor der Einfahrt ab. In zehn Minuten sind wir mit den Rädern im sehr überschaubaren Ort. Viel Holz, viel indianische
Kunst, stylische Cafés und Bars - Tofino ist die Bohème der Westküste, während Ukee den Arbeiter mit dreckigen Fingernägeln mimt. Der Ort lebt vom Tourismus, den Whalewatchern, Kajakern, Surfern
und Naturfreaks.
Trotz einer Anhäufung von Dudes müssen wir feststellen, dass es nicht ganz einfach ist, nach 10 pm ein Bier aufzutreiben. Sollte also jemand Tofino als seinen persönlichen "place to be" erachten,
könnte er mit der Eröffnung einer guten Kneipe vielleicht für die nötigen Finanzen sorgen. Denn hier zu Leben ist nicht ganz günstig. In fünf Tagen schrumpft unsere Reisekasse zusehends und wir
machen uns gut gesättigt, mit etlichen Cappuccini betankt auf den Weg zurück nach Uclulet, wo ich noch am selben Abend 50 herrenlose Dollar auf der Straße finde. Großartig und - da sind wir uns
einig - mit Sicherheit auf unser immens gutes Karma zurückzuführen.
Die 50 Bucks wechseln am nächsten Morgen an Bord der betagten Francis Barkley ihren Besitzer und ermöglichen uns eine sechsstündige Passage durch die teils in stimmungsvollen Nebel gehüllten
Broken Group Islands zurück nach Port Alberni. Mit behäbig tuckerndem Schiffsdiesel schippert uns der um Erklärungen und Anekdoten nicht verlegene Kapitän durch Nebelbänke und vorbei an kleinen,
bewaldeten Inseln, die wie Brotkrumen im Ententeich lose im küstennahen Pazifik verteilt liegen. Grauwale strecken gelegentlich am Horizont ihre Köpfe aus dem Wasser oder hinterlassen zumindest
eine Atemwolke, bevor sie buckelnd wieder in den Tiefen verschwinden.
Also wenn ich mir eine Bootsfahrt entlang der kanadischen Westküste vorstellte - lange bevor der Plan zu dieser Reise entstand... Spaß beiseite, das war echt der Hammer!
Mittlerweile sind wir via Nanaimo und Duncan zum Lake Cowichan geradelt und werden morgen bei Port Renfrew erneut auf den Pazifico treffen. Von dort geht's weiter nach Victoria, bevor wir in die
USA übersetzen und in Seattle mal wieder bissl urbane Luft atmen werden.
/Al
Mo
04
Aug
2014
Viel Gedöns auf kleinstem Raum: Da ist Suchen an der Tagesordnung.
Es beginnt in Nanaimo. Wir haben die erste wirklich anstrengende Etappe hinter uns. Und meine Kompaktkamera ist weg. Nachdem ich meine Lenkertasche mehrfach komplett aus- und wieder eingeräumt habe ohne fündig zu werden, ist die Sache für mich klar. Die Kamera muss wohl im Chaos am Fährhafen heruntergefallen sein, als ich, leicht gefrustet von meiner Fahrradpanne, in meiner Lenkertasche herumwühlte, um an Geld für die Fährtickets zu kommen. So muss es gewesen sein.
Der letzte Funke Hoffnung verfliegt, als ich an der Rezeption des Campingplatzes die Auskunft erhalte, bei ihnen sei nichts abgegeben worden. Also muss es wohl am Hafen passiert sein. Während wir das WM-Finale sehen, recherchiere ich nebenbei die Kontaktdaten der Fährgesellschaft. In kruden Gedanken überlegte ich mir, dass Deutschland jetzt definitiv Weltmeister werden müsse. Ausgleichende Gerechtigkeit. Wenn ich schon meine Kamera verliere… Mit hunderten von Bildern, die ich über den Zeitraum von über einem Jahr aufgenommen habe. Zum Glück habe ich immerhin alle Fotos auf der Festplatte gesichert. Der Gedanke, dass sich Fremde die Dokumentation meines kompletten vergangenen Jahr ansehen könnten, ist dennoch sehr unangenehm.
Zur Ablenkung widme ich mich erst einmal meiner Fahrradpanne. Und während ich so vor mich hin schraube, kristallisiert sich langsam ein Verdacht heraus: „Könnte es vielleicht sein, dass ich meine kleine Kamera gar nicht in die Lenkertasche gepackt habe? Hatte ich nicht in Vancouver darüber nachgedacht, dass es besser wäre, häufiger mit der Spiegelreflexkamera zu fotografieren? Ist das nicht vielleicht der Grund, weshalb ich die kleine Cam bewusst außerhalb des schnellen Zugriffs (=Lenkertasche) verstaut habe?“ Ich lasse den Schraubenzieher fallen und wühle mich im Zelt durch meine Taschen. Der Verdacht erhärtet sich, als ich auf den kleinen grauen Packbeutel stoße. „Da muss sie drin sein!“ Und tatsächlich, ich spüre die Neoprentasche meiner Digicam schon durch den Beutel. Die Erleichterung ist groß, ich freue mich, als hätte ich gerade eine neue Kamera geschenkt bekommen.
Ähnliches habe ich seitdem mit nahezu jedem Gegenstand von mehr oder weniger hohem materiellen oder immateriellen Wert durchlebt: iPhone - weg! Ich tröste mich damit, dass es ohne die heimische Datenflatrate sowieso relativ langweilig und nutzlos gewesen sei und finde es nach erneutem Suchen an der Stelle, an der ich es eigentlich vermutet hatte.Taschenmesser - weg! Ich ärgere mich, schließlich war meines viel schärfer als das von Alan und finde es in der Erste-Hilfe-Tasche wieder. Armbanduhr - weg! Ich rede mir ein, sie auf unserer Tour sowieso nicht zu brauchen und finde sie in der Känguruh-Tasche meines Hoodies wieder, der sich ordnungsgemäß verstaut im Klamotten-Packbeutel befindet. Kopfhörer - weg! Ich schäme mich ein wenig, habe ich sie doch erst kurz vor Abflug von Alans Vater geschenkt bekommen. Alan findet sie in seiner Hosentasche wieder. Fahrradschloss - weg! Alan steigt entnervt zum zweiten Mal an diesem Tag auf das Fahrrad, um den nicht gerade kurzen und vor allem sehr bergigen Weg nach Ucluelet zu fahren. Der Verdacht: Er habe das Schloss beim Bier kaufen am Liquor Store liegen lassen und findet es an der Tankstelle wieder, wo er die Flasche unseres Benzinkochers nachgefüllt hatte.
Doch eigentlich hätten wir vorgewarnt sein müssen. Der bisher folgenschwerste Semi-Verlust ereignet sich nämlich bereits auf der Tour de Luxembourg. Alans Brille - weg! Also so richtig! Vermutlich bei einer ausgedehnten Fotosession irgendwo achtlos am Wegesrand abgelegt und vergessen. Jedenfalls kehren wir ohne Brille nach Köln zurück, wo sich Alan umgehend Ersatz zulegt.
Einige Wochen später, wir sind gerade am Packen für unsere jetzige Tour: „Nein! Ich glaub’s nicht!“ Alan steht wie angewurzelt im Zimmer nebenan und hält eine Tüte mit einer Rolle Klopapier in der Hand. Außerdem in der Tüte enthalten: Die wochenlang vermisst geglaubte Brille.
Wie sie da hin kam? Das ist eine andere Geschichte.
/Gr
Fr
25
Jul
2014
Wälder, Berge und einsame Landstraßen. Willkommen auf Vancouver Island.
"What happens in Ukee stays in Ukee", spricht ein Aufkleber auf einem für BC obligatorischen Oversize-Pickup. Und mit dieser simplen Stoßstangen-Weisheit ist schon viel über das verschlafene Nest an der Westküste von Vancouver Island gesagt. Uclulet - neben Tofino im Nordwesten eine verpflichtender Stop auf dem touristischen Pilgerpfad entlang der kanadischen Pazifikküste - verströmt den Charme einer "am Ende der Straße Ortschaft". Ein paar verwitterte Holzfassaden, denen man das raue, von Stürmen und ergiebigen Niederschlägen geprägte Klima deutlich ansieht, eine Shopping Mall die den konsum-assoziativen Namen nicht verdient, ein Surfshop, ein schnuckliges Café und ein überschaubarer aber durchaus pittoresk gelegenen Hafen. Mit den angebotenen WhaleWatching-Touren und Angelausflügen erinnert mich Ukee stark an die noch etwas verlasseneren Siedlungen an Neuseelands Küstenlinie nördlich des Fjordland - ich mag's. Ich mag's sogar sehr. Greta hingegen bekommt den Blues. Vor allem wenn es regnet, so wie gestern.
Aber eigentlich wollte ich über die Inselquerung schreiben, eine mehrtägige Exkursion durch das Innere von Vancouver Island, über gefühlt 4000 Meter hohe Pässe und entlang bildschöner Seen,
gesäumt von undurchdringlichen Regenwäldern. Und das ist jetzt keine Schreiber-Rhetorik, sondern mein voller Ernst, denn selbst wenn man ambitioniert in das Dickicht hätte vordringen wollen, wäre
man vermutlich nach nicht einmal wenigen Metern in der misslichen Lage gewesen, ohne fremde Hilfe weder vor noch zurück zu kommen. Der Schwarzbär
allerdings beherrscht die Fortbewegung durchs Unterholz offenbar, so plötzlich, wie er Armlängen entfernt vor uns auftauchte, verschwand er auch wieder in der grünen Wand.
Anstrengend war es, ein ständiges Auf und Ab. Dreieinhalb Tage haben wir gebraucht, um von Parksville nach Uclulet zu pedalieren. Dreieinhalb Tage, an denen ich mehr als einmal daran dachte, wie
unglaublich chillig es wäre, mit einem Camper oder zumindest einem Van zu reisen. Dreieinhalb Tage, an denen wir jeden Abend, stolz auf unser Tageswerk, das Zelt aufstellten, unsere Vorräte an
einem Baum verzurrten und uns - nachdem der Benzinkocher verstummte - in die Schlafsäcke rollten. Knie, Sehnen, Muskeln - alles gut. Nach unserer bisher längsten Etappe von über 70 Kilometern und
der anschließenden - aus Mangel an Zivilisation und Alternativen - wildgecampten Nacht am Ufer des wunderbaren Lake Kennedy fühlen wir uns fast unbesiegbar. Der Stoke saß auf jeden Fall mit im
Abendrot am Seeufer und flüsterte uns mit berauschender Intensität ins Ohr, in diesem Moment genau das richtige zu tun. Ja, eine gewisse Ambivalenz hat das Reisen mit den Rad schon inne.
/Al
Do
24
Jul
2014
Ähnlich träge, wenn auch deutlich lebendiger und flauschiger als sein Holzkollege zeigte sich der erste Bär, den wir live und in Farbe beobachten konnten.
Links, rechts, links, rechts. Berge haben sich zu meiner Spezialität entwickelt: Stoisch gelassen, in einem kraftschonenden niedrigen Gang trete ich den nächsten Hügel hoch. Der Blick geht nur bis knapp vor das Vorderrad. Das schont den Nacken und erspart den demotivierenden Anblick der Steigung. In meiner Funktion als Metronom fahre ich vorne weg.
Eigentlich hätte wir schon längst da sein sollen. Stattdessen hat sich herausgestellt, dass unser Etappenziel gar nicht von der Straße aus zu erreichen ist. Also fahren wir erst einmal weiter
durch die Wildnis. Mal sehen was noch so kommt. Mit zwei Löffeln Erdnussbutter intus läuft der Motor bestimmt noch ne Weile. Die Müsliriegel sind längst vernichtet, also behelfen wir uns eben
anderweitig.
In meinem Kopf singt Paul McCartney über „the long and winding road“. Ich überlege kurz mitzusingen, verwerfe den Gedanken
aber. Zur Abwechslung mal den Blick von der Straße abwenden… „Oh verdammt…“ Knapp hinter der Leitplanke, etwa zwei bis drei Meter entfernt, steht ein Schwarzbär. „Alan, da, rechts!“ Nachdenken.
Was stand im Bärenratgeber der Provincial Parks? „Der sieht aber schon sehr flauschig aus…“ Teddybärkonnotationen setzen ein und werden schnell wieder verworfen. „Make a wide detour.“ Ok, schnell
übersetzen auf die andere Straßenseite und ein paar Meter zwischen uns bringen. Gleichzeitig lasse ich Capt’n Sharky, meine furchteinflößende Haifischhupe, ein paarmal quietschen. Lärm vertreibt
Bären schließlich. Der Quietscheenten-Sound klingt angesichts des Szenarios ziemlich erbärmlich.
Alan steht noch immer wie angewurzelt auf der Bärenseite. Meine kryptische Aussage „da, rechts!“ war nicht sehr aufschlussreich und es dauert einen Moment, bis ihm klar wird, was ich meine. Mein
überfordertes Hirn hat die Botschaft vermutlich deshalb nicht klarer formuliert, da ich vermeiden wollte, dass der Bär auf uns aufmerksam wird, wenn ich ihn bei seinem Namen, also Bär, nenne. Äh,
ja… „Alan, komm mal lieber rüber, ich glaube für Fotos ist jetzt nicht der richtige Zeitpunkt!“ Später erfahre ich, dass ich mit meinem Verdacht richtig lag. Nach „Oh krass, ein Bär!“ war Alans
nächster Gedanke „Wie kriege ich jetzt auf die Schnelle das Tele-Objektiv auf die Kamera?“
Aus einer Straßenbreite Entfernung beobachten wir, wie der Bär langsam Richtung Waldrand davon tappst und dabei er hier und da ganz entspannt an ein paar Zweigen knabbert. Nachdem er komplett
verschwunden ist, machen wir uns langsam wieder auf den Weg. Die nächsten bergigen Kilometer vergehen wie im Flug, dem Adrenalin sei dank. Ziemlich geflasht von der Begegnung freuen wir uns über
die nächste Abfahrt, zur rechten ein beeindruckender Panoramablick auf den Kennedy Lake. Und neben uns segelt ein Weißkopf-Seeadler her.
True Story.
/Gr
Fr
18
Jul
2014
Solide Packtaschen sind nicht nur zweckmäßig, sondern auch gut für kleine Anekdoten. Zumindest wenn man Mrs. Ortlieb trifft.
„Oh wait, I can help you“ bietet mir eine Dame mit Hund freundlich an und hält mir die schmale Tür zum Fähranleger auf, durch die mein voll beladenes Rad gerade noch so durchpasst. Ihr Akzent klingt irgendwie bekannt. Während sie hinter mir Richtung Fähre geht, spricht sie mit ihrem Dackel: „Come here, Waldi!“ Waldi also.
An der Fähre angekommen, sehe ich, wie sie interessiert mein Gepäck mustert. „Sit, Waldi, sit!“ Der Hund zieht ihre Aufmerksamkeit kurz auf sich. „You know, Ortlieb is my mother’s birth name. And now I always see bikers on the ferry with those bags, it’s so funny!“ Alles klar, ich hab mich nicht getäuscht, sie hat definitiv einen deutschen Akzent. Und was für einen! Im weiteren Gespräch steigen wir auf Deutsch um – beziehungsweise auf breites schwäbisch. Das beherrscht Mrs. Ortlieb auch nach 20 Jahren in Kanada noch einwandfrei. Es stellt sich heraus, dass der Gründer der Firma Ortlieb aus ihrer näheren Verwandtschaft stammt. „Des isch der Rudi gwesa – ach ne, der Rudi war der Vadr. Des war der Hardmud. Odr do der Helmud? Drei Söhne wara des.“
Die Welt ist klein. Und ich kenne jetzt Mrs Ortlieb.
/Gr
Di
15
Jul
2014
Säge und Zange vs. Ritzel und Plastik-Pinökel.
Es knarzt. Es knackt. Soweit nichts Neues bei meiner Schaltung. Das Problem hat sich bereits auf der Tour de Luxembourg angekündigt. Ausgerechnet in den Berggängen, wenn es richtig steil wird, fängt meine Schaltung an, ihren Dienst zu quittieren. Das oberste Ritzel lässt sich nicht mehr ansteuern, andernfalls klemmt sich die Kette zwischen Speichen und Kassette. Der Berg muss also mit mehr Widerstand als nötig bezwungen werden. Auch bei gefühlt 30 Grad im Schatten unter der überraschend erbarmungslosen Sonne von Vancouver. Vor der Abreise noch erfolgreich verdrängt, bringt mich das vermeintlich kleine Schaltungsproblem jetzt zusätzlich zur Hitze und Steigung auf 180. Ich fluche, meist lautlos, vor mich hin und ärgere mich über unsere Entscheidung, die Räder nicht nochmal vor Abflug zu checken. Jetzt rächt es sich, am ersten richtigen Fahrtag mit Gepäck. Hm, und der Luftdruck im Hinterrad könnte eigentlich auch circa doppelt so hoch sein.
Einen besseren Platz kann man wohl kaum für ein kurzes Reparatur-Intermezzo finden.
Immerhin ist unser Zwischenziel, die Horseshoe Bay, von wo unsere Fährt nach Vancouver Island abgeht, fast erreicht – nur noch ein paar kleine Steigungen. Ich schalte runter. Es knarzt. Es knackt. Es quietscht und schleift und nichts geht mehr. Die Kette klemmt, der Freilauf hakt. Die Plastikscheibe hinter dem Ritzelpaket wurde von der Kette unsanft zur Seite geschubst und hat sich gelöst. Jetzt klemmt sie zwischen Speichen und Kassette und blockiert den Freilauf. Wir debattieren, ob es klüger sei zu versuchen, die Plastikscheibe mit roher Gewalt zu zerstören und das Problem zu beheben, oder ein paar Kilometer unfreiwillig mit einem Fixie zurückzulegen. Ich plädiere fürs Fixie, um nicht noch mehr kaputt zu machen. Und so rolle ich, beide Beine zur Seite gestreckt, den Berg hinunter in die Horseshoe Bay, während unter mir die Pedale in Höchstgeschwindigkeit kreisen.
Noch bissl Feintuning...
...und schon ist das Problem dezent behoben.
Am nächsten Tag, auf dem Campingplatz in Nanaimo auf Vancouver Island, geht das Konzept „rohe Gewalt“ auf: Die Plastikscheibe ist Geschichte, der Freilauf gerettet. Sehr viel mehr Feingefühl und Geduld ist anschließend beim Justieren der Schaltung gefragt. Doch am Ende des Tages ist die erste Panne behoben und wir um ein paar Schrauber-Skills reicher. Und nebenbei wurde Deutschland Fußball-Weltmeister.
/Gr
Geschafft! Das Rad rollt. Yeah!
So
13
Jul
2014
Die Tage in Vancouver sind gefühlt verdammt schnell vorbei gewesen. Ein paar Ausflüge in die immer nahe Natur, ein wenig Sight Seeing, in Bars und Cafes rumhängen und grundsätzlich erstmal mit dem eigentlich immensen Zeitkontingent klar kommen. Hier ein knappe Auswahl von Fotos, die die 5 Tage treffend dokumentieren.
/Al
Sa
28
Jun
2014
Die Tagesmission lautet Wohnung leer räumen - die Zwischenmieter stehen in den Startlöchern. Was sich anfangs noch nach Sisyphus-Arbeit anfühlt, nimmt langsam Form an. Und wieder einmal frage ich mich, wieso wir so viel Kram besitzen. Und das trotz zahlreicher ehrlich ambitionierter Entrümpel-Aktionen in den vergangenen Tagen, Wochen und Monaten. Was freu ich mich auf ein halbes Jahr mit leichtem Gepäck!
/Gr
Do
26
Jun
2014
Die letzten Einkäufe trudeln ein.
Über Footprints hab ich mich immer gerne lustig gemacht. Schließlich gibt man viel Geld für ein maximal leichtes Zelt aus, nur um dann noch mehr Scheine auf den Tisch zu legen und das Zeltgeraffel letztlich wieder um mehrere 100 Gramm zu beschweren.
Mo
09
Jun
2014
Lost im Hohen Venn: Auch imaginäre Berge machen durstig.
Der Vennbahn-Weg ist quasi die Autobahn unter den Radwegen. Gut geteert, groß beschildert und stark frequentiert, zeigt er wie ein mit dem Lineal gezogener Strich auf Sankt Vith. Kinder, Alte, Lahme, sportlich Ambitionierte. Alles was sich im Sattel halten kann, ist auf dem auf dem mutmaßlich Höhenmeter vermeidenden Asphaltsteifen unterwegs.
Zuerst ist die Freude groß – schließlich begann der Tag schon mit einer Bergetappe. Nach etwa zehn Kilometern stellt sich eine gewisse Langeweile ein – monotone Mainstream-Meilen, nichts für Kontinentdurchquerer und Eifelbezwinger. Dann plötzlich wird’s zäh – weit und breit kein Berg in Sicht. Ist er jetzt doch da, der Wahn? Jetzt beschleichen uns langsam Zweifel an unserer Wahrnehmung. Jeder Meter ist beschissen anstrengend und in Gedanken verfluche ich das Radfahren: »Wer kommt eigentlich auf so hohle Ideen, weite Strecken mit dem Velo zurücklegen zu wollen? Spätestens in Seattle kaufen wir uns nen Van und fahren nur noch Trails. Dann müssen wir auch nicht mit so nem weichgespülten Profil durch die Gegend treten. Und in Kanada kann man das Gipfelglück schließlich mit dem Lift erfahren. Wenn wir zu Hause sind, strippe ich erstmal den ganzen Gepäck-Shit. Das Rad schaut mit Stollen eh viel besser aus...«
Wir diskutieren, ob der Wind schuld ist an unserem Radweg-Waterloo, oder ob die gleichförmige Heidelandschaft wohl geschickt die eigentlich brachiale Steigung kaschiert. Alles lamentieren nützt
nichts, es gibt offenbar Anstiege wo keine Anstiege sein dürften. Als wir den Ortsrand von Sankt Vith erreichen, verbuche ich das Erlebte unter Empirie des Radreisens und bin mir ziemlich sicher,
dass das Phänomen im nächsten halben Jahr noch häufiger thematisiert werden wird.
/Al
Mo
09
Jun
2014
Tierische Gesellschaft: Der kleine Damhirsch beobachtet uns während unserer Pause.
Mehrere Paare großer runder Kuhaugen glotzen leicht irritiert und ungläubig in unsere Richtung, als wir den Wald hinter uns lassen und schließlich das Ende des vier Kilometer langen Bergpasses vonClervaux nach Marnach erreichen. Anders als die Autos vor uns erregen wir auf unseren voll bepackten Rädern die Aufmerksamkeit der pummeligen rotbraunen Kühe auf der Weide neben der Straße. Offenbar finden uns die Tiere ein bisschen seltsam.
Seit wir Köln ein paar Kilometer hinter uns gelassen haben, begegnen uns häufiger Vierbeiner als Zweibeiner. Für Stadtbewohner wie uns ist das eine neue Perspektive: Im Alltag treffen wir gewöhnlich nur hin und wieder auf ein paar Kaninchen im Park – von Hunden samt Herrchen mal abgesehen.
Unsere erste Pause auf dem Weg nach Luxemburg machen wir in Gesellschaft eines Damhirsches, der uns neugierig durch den Zaun seines Geheges beobachtet und vermutlich auch gerne einmal von unserem Snickers abbeißen würde. Je weiter wir uns in die Eifel hochtreten, desto dichter wird die Kuh- und Schafpopulation auf den Weiden. Von Zivilisation ist hingegen immer weniger zu sehen. Daran ändert sich auch in Belgien und Luxemburg wenig. In einem Baum direkt an der Straße lässt sich plötzlich ein stattlicher Greifvogel nieder. Ihn stört es nicht, dass wir dicht an ihm vorbeifahren und so haben wir die Gelegenheit, das Tier aus nächster Nähe zu betrachten.
Wir erreichen den Norden von Luxemburg am zweiten Tag gegen Abend. Das Wetter meint es schon den ganzen Tag nicht gut mit uns und es wird immer kälter. Wir beschließen, unsere Tagesetappe zu verkürzen und den nächsten Campingplatz anzusteuern. Während Alan sein iPad anwirft, um auf der Karte ein passendes Nachtlager ausfindig zu machen, freunde ich mich mit den Pferden auf der Koppel neben uns an. Ein junges Pferd ist anfangs noch ziemlich schüchtern, der saftige Löwenzahn von jenseits des Zauns ist dann aber doch ein Argument, mir aus der Hand zu fressen. Als wir aufbrechen, trabt das Pferd bis zum Ende der Weide neben uns her und macht zum Abschied einen eleganten Bocksprung. Fehlt nur der Regenbogen und ein bisschen Glitter in der Luft und das Einhorn-Kitschszenario wäre perfekt.
Ich muss gestehen, ich habe mich ein wenig verliebt...
/Gr
So
08
Jun
2014
Das Ziel fast vor Augen: Zwischenstopp vor Windows-Hintergrund in Luxemburg.
Es war nach dem Abi, ich hatte das Zeugnis in der Tasche und war mit dem Motorrad in Marokko unterwegs. Es muss schon südlich des Hohen Atlas gewesen sein, als wir den Radfahrer am Straßenrand trafen. Nicht der erste auf dieser Reise, aber bestimmt der denkwürdigste. Ein bisschen abgehalftert sah der Bursche aus, asketisch – was man ihm angesichts der von ihm zurück gelegten Strecke wahrlich nicht verdenken konnte. Die zehrenden Etappen auf dem Rad standen ihm förmlich ins Gesicht geschrieben. Aber da war noch was: der Wahn.
Vielleicht hatte er zu wenig Wasser getrunken, eventuell ist ihm die Einsamkeit der Hammada zu Kopf gestiegen, denkbar auch, dass er zu viel vom weichen Rif Dope geraucht hatte. Definitiv war der Kerl etwas schräg drauf und als er in Rufweite kam, fing er gleich an auf uns einzureden. Wir sollten da nicht anhalten, schließlich müsse er das dann ausbaden. Wir hingegen könnten einfach mit unseren Motorrädern verschwinden, während die Wüsten-Hustler ihn belagern und die Kinder mit Steinen nach ihm werfen würden.
So ganz von der Hand zu weisen waren seine Einwände sicherlich nicht, aber so wie [und vor allem mit welchem Blick] er das vortrug, fügte sich in meinem Kopf ein scharf umrissenes Bild des
Langzeit-Radreisenden zusammen. Plakativ zwar, aber in sich schlüssig und vor allem tauglich für die Stereotypen-Schublade.
Während ich über den kauzigen Heidelberger nachdenke, sitze ich auf einem nicht eingefahrenen, bockelharten Ledersattel und bringe mein Rad samt kompaktem 25kg-Gepäck mit jeder Kurbelumdrehung
weiter Richtung Luxemburg. Ein Wochenendausflug – nicht nur im Vergleich zur Marokkotour – aber auch ein Umdenken. Die Knie schmerzen, Muskeln brennen und ich kann mir vorstellen, was manch einer
über uns denkt, während wir sichtlich bemüht die Eifel erklimmen.
Hand aufs Herz, wir sind Greenhörner und haben uns verdammt viel vorgenommen. Und ich meine jetzt nicht von Köln via Luxemburg nach Trier zu radeln. Nein, das sind Peanuts verglichen mit, sagen
wir mal, der Strecke von Vancouver BC nach… mhm, zum Beispiel Mexiko.
Es dämmert und fängt an zu regnen. Greta spricht schon seit einigen Kilometern nichts mehr. Der Schotter knirscht unter unseren Rädern. Rechts und links nur dichte Nadelwälder. Authentisch
wollten wir‘s auf der Test-Tour haben und es ist tatsächlich gut vorstellbar, dass gleich ein Bär den mit zunehmend breiter werdenden Rinnsalen durchzogenen Waldweg kreuzt.
Wir stellen uns unter und ziehen die Regensachen aus dem Gepäck. Vertraute Handgriffe, wie auf dem Motorrad. Überhaupt gibt‘s über die Anzahl der Räder hinaus tatsächlich viele Parallelen.
Entbehrlich ist es und man ist immer ein wenig ausgeliefert. Was im einsetzenden Landregen – mit oder ohne Motor – etwas verbittert klingt, ist eigentlich das Salz in der Suppe.
/Al
Sa
07
Jun
2014
Die Reifenfrage: Wieviel Profil darf sein?
Was beim Wandern der Schuh ist, ist beim Radfahren der Reifen – er ist das Fundament unserer Tour, und das muss stimmen. Dass der Continental XKing MTB-Reifen, den ich bisher im Gelände fuhr, für ein halbes Jahr und 4.000 bis 5.000 Kilometer vorwiegend auf Asphalt nicht die richtige Wahl ist, war mir irgendwie klar.
Das dumpfe Surren, das er beim Straßeneinsatz von sich gibt, verrät eindeutig, dass in Sachen Rollwiderstand noch Luft nach oben ist. Damit war mein Wissen über Reifen aber eigentlich auch schon am Ende. Vage im Hinterkopf war da lediglich noch das Bild des Reifens, den ich als Kind auf meinem ersten MTB hatte: innen relativ glatt, außen Stollen. Ein Semi-slick, wie ich heute weiß. In diese Richtung könnte der perfekte Tour-Reifen gehen, dachte ich mir.
Können muss er jedenfalls einiges, der perfekte Reise-Reifen:
- Wenig Rollwiderstand auf Asphalt. Das Gepäck und die 26-Zoll-Reifen fordern schließlich schon genug Krafteinsatz.
- Grip auf nassen Straßen, matschigen Feldwegen, Schotterpisten und eigentlich auch auf weichen Waldböden. Schließlich fahren wir nicht in die Wälder von British Columbia, um die besten Trails aus der Ferne zu bewundern. Nein, wir wollen sie definitiv auch fahren.
- Pannenschutz: Der Reifen muss natürlich einiges wegstecken können. Ich würde nur ungern nach jeder Glasscherbe das Flickzeug aus den Gepäcktaschen herauskramen müssen.
- Abriebfestigkeit: Harter Gummi muss es sein, sonst ist der Reifen nach wenigen Wochen durch.
Besonders schwierig ist es natürlich, wenig Rollwiderstand und viel Grip unter einen Hut zu kriegen – das widerspricht sich naturgemäß ein wenig. Alan hatte gerade erst sein MTB mit dem Fat Albert aufgerüstet und plädierte für mehr Grip, um auch in den kanadischen Wäldern souverän in die Kurven gehen zu können. Bei mir dominierte hingegen die Faulheit (und vielleicht auch ein wenig die Vernunft, schließlich sind wir die meiste Zeit auf Highways unterwegs), ich wollte möglichst wenig Rollwiderstand. Ein Semi-slick ist beim Grip vs. Rollwiderstand-Batte prinzipiell ein guter Kompromiss, doch meistens sind diese Reifen auf Geschwindigkeit optimiert, d. h. wenig Gewicht und folglich auch weniger Material. Nicht unbedingt optimal in Sachen Pannenschutz und Haltbarkeit, so hab ich mir das zumindest zusammengereimt.
Was also folgte war eine tagelange Recherche auf den Websites aller namhafter Reifenhersteller, ein leicht fanatisches Begutachten aller Reifen, die mir im Stadtalltag an Laternenpfosten und Fahrradständern begegnet sind, ein intensives Studi um verschiedener Reifenmaßsysteme (ETRTO vs. Zoll, und dann noch dieses komische französische Sy stem), und natürlich die Lektüre vonErfahrungsberichten Radreisender. Und wenn sie nichts zu den Reifen geschrieben haben, habe ich auf Bildern ihrer Gefährte detektivisch nach Hinweisen zum Reifen ihrer Wahl gefahndet.
Das Ergebnis der Suche: The one and only Schwalbe Marathon Mondial Evolution (55-559). Er ist auf Asphalt ebenso souverän wie auf Schotterpisten und kann dank „Double Defense“ auch fiesen Scherben widerstehen. Die Gummimischung ist ziemlich hart und somit abriebfest. Bei meiner Recherche bin ich auf einen Erfahrungsbericht gestoßen, in dem das Profil des Mondial nach ca. 10.000 km gezeigt wurde – sah fast wie neu aus. Viele gute Argumente also, um auch Alan davon zu überzeugen, sich von seinem Fat Albert zu trennen.
Bei der Tour de Luxembourg bestritt der Mondial seinen ersten Einsatz. Das Aufziehen war sehr mühsam und kostete viel Kraft (ein Reifenheber ging dabei zu Bruch – harter Gummi fordert sein Tribut), was Alans leichte Abneigung gegenüber den neuen Reifen nicht gerade minderte. Ich fand hingegen, dass mein Velo auch noch mit funktionaler Reisebereifung einen schönen Anblick abgab. Das erste Fazit fällt jedenfalls positiv aus. An Untergrund war von Asphalt über Schotter bis hin zu matschigen Forstwegen alles dabei, und nichts konnte den Mondial aus der Ruhe bringen. Irgendwann mitten in der belgischen Prärie, am gefühlt hundertsten Berg bei leichtem Regen in unwegsamen Gelände, vernahm ich schließlich ein »Greta, das mit dem Mondial war schon ne gute Wahl« neben mir.
/Gr