Zwerge unter Riesen: So fühlen wir uns in den Redwoods.
Dass wir Oregon hinter uns gelassen haben, bemerken wir nicht nur an dem Schild, das uns in California willkommen heißt. Der Grenzübertritt gleicht geradezu einem vollständigen Kulissenwechsel.
Der Highway führt uns zielstrebig von der Küste weg – die Zeiten mit konstantem Panorama-Pazificoblick zur Rechten sind vorerst vorbei. Statt beschaulichen Küstenstädtchen passieren wir jetzt
spärlich besiedelte Dörfer, in denen sich offenbar seit Jahren niemand mehr berufen fühlt, dem Verfall etwas entgegenzusetzen. Einzig die Raccoons scheinen hier noch heimisch zu sein. Als wir um
eine Kurve fahren, scheuche ich eine Waschbärfamilie auf, die sich schnell auf den nächsten Baum rettet.
Nur wenige Kilometer später wartet bereits die nächste landschaftliche Zäsur auf uns: Wir verlassen die „Hauptreiseroute“ auf Anraten unserer Campground-Bekanntschaft Ryan aus Seattle Richtung
Jedediah Smith State Park. Nach wenigen hundert Metern wird es dunkel um uns herum uns wir fühlen uns, als wären wir schlagartig auf Miniaturformat zusammengeschrumpft – zumindest, wenn man die
Höhe der Bäume um uns herum als Referenzpunkt nimmt. Wir befinden uns inmitten eines jahrhundertealten Redwood-Waldes.
Wie bei jedem Abstecher von der offiziellen „Pacific Coast Bike Route“ sind wir in dieser Nacht die einzigen Camper auf der Hiker-Biker-Site. Unser Zelt schlagen wir zwischen zwei Baumriesen auf,
deren Stämme in etwa so breit sind wie unsere Behausung. Statt im Meer schwimmen wir an diesem Abend im Smith River und freuen uns über die – zumindest im Vergleich zum eisigen Pazifik –
badewannenähnliche Wassertemperatur.
Zurück auf der Hauptroute. Wir passieren Crescent City, wo wir uns eine Karte der kalifornischen Bike Route organisieren – der Kontrast zu Oregon könnte stärker nicht sein. Das Booklet, das uns
die Dame in der Visitor Information in die Hand drückt, sieht arg improvisiert aus. Die Seiten sind per Hand zusammengetackert, der Inhalt entsprechend. Die angegebenen Höhenprofile scheinen grob
per Hand skizziert worden zu sein, wie sich im Weiteren zeigen sollte.
Hinter Crescent City geht es gefühlt endlos steil bergauf. Am Ende der Steigung wartet der Campground auf uns – allerdings versteckt in einem Tal mehrere Kilometer unter uns. Wir vernichten die
gewonnen Höhenmeter im Rekordtempo und können die Abfahrt dennoch nicht genießen. Die Aussicht, am nächsten Morgen zunächst wieder eine gute halbe Stunde steil bergauf zu treten, ehe wir
überhaupt zurück auf der Route sind, trübt den Downhill-Spaß.
Unten angekommen treffen wir auf Kyle aus Montreal, der per Velo vom Burningman Festival zurückreist. Er ist gen Norden unterwegs und hat den Berg von der anderen Seite in Angriff genommen – ein
nicht minder frustrierendes Unterfangen. Dafür hat er Dried Mango im Gepäck. Die ist so lecker, dass wir den Climb am kommenden Morgen fast vergessen und sie ist außerdem der Grund, weshalb wir
bereits vor Betreten der ersten Filiale zu fanatischen Trader Joe’s-Jüngern werden.
Am nächsten Tag wird der Himmel grau und unserer Laune geht es ähnlich. Die Route hat nicht viel zu bieten außer einen autobahnähnlich ausgebauten 101, die sich schier endlos wirkende Hügel
hinaufzieht. Ein kurzer Lichtblick ist der Abstecher durch die Redwoods auf dem Newton B. Drury Scenic Parkway. Vom Pazifik kriegen wir tagelang nichts zu sehen – nach unserem innigen Verhältnis
an der Küste Oregons vermissen wir ihn schmerzlich.
In Arcata ist unsere (und insbesondere meine) Fahrmoral auf dem Tiefststand. Wir beschließen, ein paar Tage Pause zu machen und entdecken in dem erfrischend alternativen und etwas durchgeknallten
Hippie-Örtchen ein hübsches kleines Hostel. Wir würden länger bleiben, würde das Hostel am nächsten Tag nicht vorübergehend wegen Reparaturarbeiten schließen.
Haus statt Zelt: In Arcata schlafen wir seit langer Zeit mal wieder in einem richtigen Bett.
Uns bleibt nichts anderes übrig, als ein paar Kilometer weiterzuziehen zum nächsten Campground – ausnahmsweise kein State Park sondern ein privater mit jeder Menge Annehmlichkeiten wie Wifi im
Zelt, Pool und Hot Tub.
Der Regen kommt. An Weiterfahren ist nicht zu denken. Wir decken uns gegenüber im Outlet einer Backwarenfabrik mit Bagels, Muffins und Cookies ein und kommen so durch den Tag, ohne den Kocher im
Regen anwerfen zu müssen. Keine gute Idee: Am nächsten Tag geht es unter Schmerzen weiter. Die Bagel-und-Muffin-Diät hat ein fieses und anhaltendes Stechen in meiner Magengegend hinterlassen.
Besser wird’s erst am Nachmittag, auf dem schönen Teil der Etappe – der Avenue of the Giants, die uns parallel zur inzwischen verhassten 101 durch Redwood-Schluchten führt. Am Abend treffen wir
auf der Hiker-Biker-Site Peter aus Schottland und müssen feststellen, dass andere Leute wohl einen noch härteren Tag hatten als wir: Peter hat auf dieser Etappe ganze fünf Platten flicken
müssen.
Weitere zwei Tage kämpfen wir uns durchs Hinterland. Der zunehmende Verkehr der 101 und fiese Steigungen sind unsere ständigen Begleiter. Doch wir haben ein Ziel vor Augen: Der Abzweig auf den Highway 1, der uns zu unserem treuen Freund Pazifiko zurückbringt. An der Kreuzung in Legget sagen wir den Redwoods Goodbye – und fahren ganz amerikanisch durch einen Drive-Thru-Tree.
/Gr
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Maria M. (Donnerstag, 06 November 2014 17:25)
Schon ein besonderes Gefühl, unter Uralt-Riesen zu stehen! Und immer noch T-Shirt-Wetter. Bei uns wird's richtig novemberlich.