Viel Gedöns auf kleinstem Raum: Da ist Suchen an der Tagesordnung.
Es beginnt in Nanaimo. Wir haben die erste wirklich anstrengende Etappe hinter uns. Und meine Kompaktkamera ist weg. Nachdem ich meine Lenkertasche mehrfach komplett aus- und wieder eingeräumt habe ohne fündig zu werden, ist die Sache für mich klar. Die Kamera muss wohl im Chaos am Fährhafen heruntergefallen sein, als ich, leicht gefrustet von meiner Fahrradpanne, in meiner Lenkertasche herumwühlte, um an Geld für die Fährtickets zu kommen. So muss es gewesen sein.
Der letzte Funke Hoffnung verfliegt, als ich an der Rezeption des Campingplatzes die Auskunft erhalte, bei ihnen sei nichts abgegeben worden. Also muss es wohl am Hafen passiert sein. Während wir das WM-Finale sehen, recherchiere ich nebenbei die Kontaktdaten der Fährgesellschaft. In kruden Gedanken überlegte ich mir, dass Deutschland jetzt definitiv Weltmeister werden müsse. Ausgleichende Gerechtigkeit. Wenn ich schon meine Kamera verliere… Mit hunderten von Bildern, die ich über den Zeitraum von über einem Jahr aufgenommen habe. Zum Glück habe ich immerhin alle Fotos auf der Festplatte gesichert. Der Gedanke, dass sich Fremde die Dokumentation meines kompletten vergangenen Jahr ansehen könnten, ist dennoch sehr unangenehm.
Zur Ablenkung widme ich mich erst einmal meiner Fahrradpanne. Und während ich so vor mich hin schraube, kristallisiert sich langsam ein Verdacht heraus: „Könnte es vielleicht sein, dass ich meine kleine Kamera gar nicht in die Lenkertasche gepackt habe? Hatte ich nicht in Vancouver darüber nachgedacht, dass es besser wäre, häufiger mit der Spiegelreflexkamera zu fotografieren? Ist das nicht vielleicht der Grund, weshalb ich die kleine Cam bewusst außerhalb des schnellen Zugriffs (=Lenkertasche) verstaut habe?“ Ich lasse den Schraubenzieher fallen und wühle mich im Zelt durch meine Taschen. Der Verdacht erhärtet sich, als ich auf den kleinen grauen Packbeutel stoße. „Da muss sie drin sein!“ Und tatsächlich, ich spüre die Neoprentasche meiner Digicam schon durch den Beutel. Die Erleichterung ist groß, ich freue mich, als hätte ich gerade eine neue Kamera geschenkt bekommen.
Ähnliches habe ich seitdem mit nahezu jedem Gegenstand von mehr oder weniger hohem materiellen oder immateriellen Wert durchlebt: iPhone - weg! Ich tröste mich damit, dass es ohne die heimische Datenflatrate sowieso relativ langweilig und nutzlos gewesen sei und finde es nach erneutem Suchen an der Stelle, an der ich es eigentlich vermutet hatte.Taschenmesser - weg! Ich ärgere mich, schließlich war meines viel schärfer als das von Alan und finde es in der Erste-Hilfe-Tasche wieder. Armbanduhr - weg! Ich rede mir ein, sie auf unserer Tour sowieso nicht zu brauchen und finde sie in der Känguruh-Tasche meines Hoodies wieder, der sich ordnungsgemäß verstaut im Klamotten-Packbeutel befindet. Kopfhörer - weg! Ich schäme mich ein wenig, habe ich sie doch erst kurz vor Abflug von Alans Vater geschenkt bekommen. Alan findet sie in seiner Hosentasche wieder. Fahrradschloss - weg! Alan steigt entnervt zum zweiten Mal an diesem Tag auf das Fahrrad, um den nicht gerade kurzen und vor allem sehr bergigen Weg nach Ucluelet zu fahren. Der Verdacht: Er habe das Schloss beim Bier kaufen am Liquor Store liegen lassen und findet es an der Tankstelle wieder, wo er die Flasche unseres Benzinkochers nachgefüllt hatte.
Doch eigentlich hätten wir vorgewarnt sein müssen. Der bisher folgenschwerste Semi-Verlust ereignet sich nämlich bereits auf der Tour de Luxembourg. Alans Brille - weg! Also so richtig! Vermutlich bei einer ausgedehnten Fotosession irgendwo achtlos am Wegesrand abgelegt und vergessen. Jedenfalls kehren wir ohne Brille nach Köln zurück, wo sich Alan umgehend Ersatz zulegt.
Einige Wochen später, wir sind gerade am Packen für unsere jetzige Tour: „Nein! Ich glaub’s nicht!“ Alan steht wie angewurzelt im Zimmer nebenan und hält eine Tüte mit einer Rolle Klopapier in der Hand. Außerdem in der Tüte enthalten: Die wochenlang vermisst geglaubte Brille.
Wie sie da hin kam? Das ist eine andere Geschichte.
/Gr
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Luise (Montag, 04 August 2014 20:27)
Haha… Das amüsiert mich sehr und kommt mir so unglaublich bekannt vor… Denn obwohl das Spaceship zwar deutlich größer war als ein Zelt, so haben wir dennoch ständig Dinge gesucht und dafür viele andere Dinge von links nach rechts geräumt … :)
Henning (Montag, 04 August 2014 21:08)
Kenn ich nur zu gut. In meiner Werkstatt (4m²) verschwindet auch immer alles und taucht Stunden später wieder auf :-D
Elke (Dienstag, 05 August 2014 18:53)
Ich würde jetzt gerne behaupten; Ja, kenn ich. Aber in diesen Ausmaßen wohl nicht. ;-)
Wau, seit Ihr Chaoten *hihi*
Mein Liebblingsatz; " ich freue mich, als hätte ich gerade eine neue Kamera geschenkt bekommen"
Sehr schön.
:D
Maria M. (Donnerstag, 07 August 2014 21:36)
Mein Kompliment! Der Deutschlehrer würde wahrscheinlich sagen: Spannungsaufbau gelungen. Und schmunzeln muss man auch noch. Bleibt weiterhin so fündig!